Spitzensport-Elternabend: „Man macht es von ganzem Herzen“
Sie heißen Frank Stäbler, Maya Weishar, Andrea Rothfuss, David Wrobel, Helen Briem und Tizian Lauria. Sie repräsentieren Deutschland bei Olympischen und Paralympischen Spielen, gewinnen Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften, tragen das Germany-Trikot bei internationalen Teamwettbewerben und holen Top-Platzierungen bei großen Turnieren. Man kennt ihre Namen und Gesichter, sie geben Interviews, schreiben Autogramme und präsentieren stolz ihre Sponsoren. Die Mütter und Väter ihrer Erfolge? Klar, ihre Trainerinnen und Trainer. Doch da gibt es in ihrem direkten Umfeld noch Personen, die ein Schattendasein führen. Personen, die kaum jemand kennt und die meist nur im Verborgenen agieren. Dabei sind sie die wahren Meistermacher. Sie sind diejenigen, die den erfolgreichen Athletinnen und Athleten einst den Weg in den Sport geebnet haben, die ihre eigenen Bedürfnisse seit Jahren hinten an stellen und außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung mit ihren Kindern jubeln und trauern. Die Rede ist, klar, von den Eltern unserer sportlichen Aushängeschilder, denen wir diese Seiten widmen möchten. Ende Februar haben wir uns dazu in der Gaststätte des TEC Waldau Stuttgart mit Angehörigen der eingangs erwähnten Spitzensportlerinnen und Spitzensportler zu einem interessanten, zweieinhalbstündigen Austausch getroffen. Mit David Wrobel, Helen Briem und Tizian Lauria waren auch drei der „sportlichen Kinder“ selbst mit von der Partie.
Autor:Ralf Scherlinzky
Spannende und inspirierende Gesprächsrunde mit (von links) Carmen und Rito Nick Lauria (Eltern von Kugelstoßer Tizian Lauria), Tanja Simmendinger und Michaela Stäbler (Tante und Mutter von Ringer Frank Stäbler), SPORT.S-Redakteurin Lara Auchter, Joachim Weishar (Vater von Squashspielerin Maya Weishar), Gaby Nuss (Mutter von Para-Skiläuferin Andrea Rothfuss), Bernd Faber und Elly Wrobel (Stiefvater und Mutter von Diskuswerfer David Wrobel), David Wrobel, SPORT.S-Herausgeber Ralf Scherlinzky, Jochen Briem (Vater von Golfspielerin Helen Briem), Helen Briem, Tizian Lauria, Jana Herrmann (Freundin von Tizian Lauria). Fotos: Leo Pfister
„Irgendwie rutscht man da rein, das haben wir glaub ich alle gemeinsam“, sagt Jochen Briem, der seine Tochter Helen Briem (18) weltweit zu Golfturnieren begleitet. „Keiner von uns ist eines Tages aufgestanden und hat gesagt, ich mache mein Kind zum Profisportler. Das fängt alles ganz klein an und entwickelt sich, und plötzlich gehörst du zu den Eltern, über die du früher noch den Kopf geschüttelt hast und die 50.000 Kilometer im Jahr runtergespult haben.“
Bestätigendes Nicken erntet der Nürtinger vor allem von Joachim Weishar, Vater der Squashspielerin Maya Weishar (17): „Maya hatte als Kind eigentlich nur zugeschaut, als ich mit einem Freund Squash gespielt habe. Sie wollte dann auch mal den Schläger in die Hand nehmen – und inzwischen arbeitet sie auf die Olympia-Qualifikation für 2028 hin. Die Squashanlage bei uns in Waiblingen musste schließen, und da wir weit und breit keine vernünftigen Courts haben, bin ich seit Jahren fast jeden Tag mit ihr unterwegs und fahre pro Woche rund 600, 700 Kilometer. Vor allem die Montage sind anstrengend, wenn wir von Leutenbach nach Würzburg zum Training fahren.“
Auch wenn sie keine so extremen Fahrtstrecken auf sich nehmen mussten, können die anderen Familien ein Lied von den Shuttlefahrten für ihre Kinder singen. Carmen und Rito Nick Lauria, Eltern von Kugelstoßer Tizian Lauria (20), berichten: „Tagsüber hieß es, Papa, hol mich von der Schule ab und koch mir was. Ich esse dann im Auto, solange wir von den Fildern zum Olympiastützpunkt fahren. Abends fuhr die Mama nach der Arbeit nach Cannstatt, um ihn wieder abzuholen, damit er noch zu Abend essen und lernen konnte. Und wenn wir ihn dann mitten in der Nacht vom Flughafen holen mussten, haben wir das auch gerne und von ganzem Herzen gemacht.“
Elly Wrobel sattelte für ihren Sohn, Diskuswerfer David Wrobel (33), bei ihrem Job von Voll- auf Teilzeit um. „Mit zunehmendem Leistungsvermögen war die Anlage bei uns in Musberg nicht mehr für sein Training geeignet“, berichtet sie. Deshalb musste sie ihn mehrmals pro Woche nach Nürtingen fahren. Dazu ging es noch zweimal nach Cannstatt an den Olympiastützpunkt. „Ich hätte ihn natürlich auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren lassen können“, so Elly Wrobel weiter, „aber dann wären die Hausaufgaben zu kurz gekommen. Also bin ich auf Teilzeit umgestiegen, damit er sein Ding machen konnte.“
Elly und David Wrobel
Wenn die Kinder nicht alles erzählen…
Dass sie für ihre Kinder Opfer bringen bzw. gebracht haben, verneinen die Eltern unisono. Ein Opfer bringen sie höchstens, so ist es aus den Gesprächen herauszuhören, wenn sie mal nicht bei den Wettkämpfen ihrer Kinder vor Ort sein können. „Es ist schlimm, wenn du zuhause am Stream sitzt und siehst, dass es bei deinem Kind nicht läuft oder es ihm nicht gut geht. Da wünsche ich mir, vor Ort zu sein und sie in den Arm zu nehmen“, gesteht Gaby Nuss. Ihre Tochter, Para-Skirennläuferin Andrea Rothfuss (34), war 2014 bei den Paralympischen Spielen in Sotschi Fahnenträgerin des deutschen Teams. „Ich hatte zwar mitbekommen, dass sie zwei Tage davor im Training gestürzt war. Dass sie sich aber die Halswirbelsäule gestaucht hatte und beim Einmarsch unter ihrem Schal eine Halskrause getragen hat, habe ich erst hinterher erfahren“, schüttelt sie heute noch den Kopf.
Michaela Stäbler
„Genau so war es bei uns auch“, rollt Michaela Stäbler mit den Augen. Ihr Sohn, Ringer Frank Stäbler (34), hatte sich in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2016 verletzt. „Wir wussten, dass er angeschlagen war. Dass aber mehrere Bänder in seinem Knöchel angerissen waren und seine Teilnahme auf der Kippe stand, haben wir erst hinterher erfahren.“
Sowohl David Wrobel als auch Tizian Lauria nehmen grinsend das Wort „Drama“ in den Mund, als sie erklären, weshalb auch sie mit Informationen über Verletzungen gegenüber ihren Eltern eher sparsam umgehen: „Es ist ja klar, dass man sich als Eltern um die Gesundheit seiner Kinder sorgt. Aber beim Leistungssport kann man grundsätzlich nicht von Gesundheitssport sprechen. Das ist uns Sportlern bewusst, aber für unsere Eltern ist es schwieriger, sich damit abzufinden.“
Deshalb gehe man als Sportler mit Informationen über seine Verletzungen eher sparsam um, weil man eben Diskussionen aus dem Weg gehen möchte. „Da muss ich euch recht geben“, gibt Michaela Stäbler zu. „Wir hätten zu hundert Prozent gesagt, er soll sich schonen, weil die Gesundheit wichtiger ist als alles andere.“
Vom Wirbelwind zum Weltmeister
Ihr Sohn sei schon als Kind so fokussiert gewesen, wie man ihn später auf der Ringermatte erlebt hat. „Als Frank noch klein war, habe ich noch nicht daran gedacht, von Ehrgeiz und Fokus zu sprechen. Für mich war er eher ein Wirbelwind. Wenn er etwas wollte, gab es schon damals kein Rechts und kein Links. Das war nicht immer einfach“, erinnert sich Michaela Stäbler. Doch diese Eigenschaft war es, die ihm letztendlich drei Weltmeistertitel und eine Olympia-Medaille eingebracht hat. „Er hat immer gesagt, es gibt auf der Welt viel talentiertere Ringer, aber die seien eben nicht bereit, sich so zu quälen wie er.“
Auch die Eltern von Tizian Lauria berichten von einem kleinen Wirbelwind. Carmen Lauria erzählt von einem gemeinsamen Zoobesuch mit Freundinnen und deren Töchter: „Sie wollten nie glauben, weshalb ich in Panik gerate, wenn er mal kurz ausbüxt. Als wir dann vor dem Affengehege standen, haben alle begeistert die Affen angeschaut – und unser Tizian war ruckzuck den Zaun hochgeklettert und hing oben am Gehege. Das wurde erst besser, als wir mit ihm zum Eltern-Kind-Turnen gegangen sind. Er brauchte einfach die Bewegung und hat seither seinen Weg im Sport gemacht.“
Elly Wrobel erinnert sich an einen 1000-Meter-Lauf, als ihr Sohn David mit letzter Kraft ins Ziel kam, sich übergab und kurz ohnmächtig wurde. „Ich dachte oh Gott, mein armes Kind – doch sein Trainer meinte nur, der wird wieder. Solche Typen braucht man im Sport.“
„Die sportlichen Aktivitäten von Andrea sind uns tatsächlich fast über den Kopf gewachsen“, lacht Gaby Nuss. „Wir haben damals noch im Schwarzwald gewohnt, da war natürlich das Skifahren ihre große Liebe. Dann war sie zusätzlich aber auch noch im Leichtathletik-Training und im Schwimmen, wo sie dann plötzlich auf dem Sprung in den Bundeskader der Paraschwimmerinnen stand. Sie hätte dreimal in der Woche in Rottweil mittrainieren können, das wären, einfache Strecke, 40 Kilometer zu fahren gewesen. Da Andrea aber noch drei Geschwister hat, denen ich auch gerecht werden musste, habe ich sie vor die Wahl gestellt, ob sie neben dem Skifahren weiter Leichtathletik machen oder Schwimmen möchte. Sie hat sich für die Leichtathletik entschieden und ist auch dort dann bald bei den Deutschen Meisterschaften angetreten.“
Joachim Weishar und Gaby Nuss
Wo andere Eltern Fernseh- oder Konsolenverbot einsetzen, wenn ihre Kinder mal nicht „spuren“, bauen die Sportlereltern auf Trainingsverbot als Druckmittel. „Oh ja, daran erinnere ich mich gut. Das war für mich die Höchststrafe“, lacht David Wrobel.
Helen Briem berichtet davon, dass sie Anfang des Jahres etwas angeschlagen gewesen sei und nicht wie gewohnt trainieren konnte. „Ich saß den ganzen Nachmittag zuhause und mir war stinklangweilig. Ich wusste nicht, was ich mit der freien Zeit anfangen sollte und war froh, als ich dann wieder trainieren konnte“, so die Abiturientin.
Überehrgeizige Eltern – eine Legende?
Eines ist aus diesen Geschichten eindeutig herauszuhören: Die überehrgeizigen Eltern, die ihre Kinder zum Sport prügeln, sind eher Legende als sie tatsächlich existieren. Vielmehr geht der extreme Fokus auf den Sport von den Kindern aus – die Eltern sind dabei „der stille Rückhalt“, wie es David Wrobel beschreibt.
„Man wirft uns manchmal schon vor, sich in unseren Kindern selbst verwirklichen zu wollen. Das ärgert mich, weil das absolut nicht der Fall ist“, merkt Jochen Briem an. „Du kannst kein Kind fünf Jahre lang zum Sport antreiben, vor allem nicht durch die Pubertät hindurch – das müssen die Kinder schon selbst wollen.“
Joachim Weishar und Michaela Stäbler pflichten ihm bei: „Ein talentiertes Kind zum Sport zu prügeln, mag vielleicht ein paar Monate funktionieren. Spätestens in der Pubertät hört es dann auf, da es keinen Spaß am Sport und damit keine intrinsische Motivation hat.“
Auch Rito Nick Lauria kennt die anklagenden Blicke aus der Nachbarschaft. „Wenn jemand gefragt hat, ob Tizian das überhaupt will oder wir ihn dazu drängen, habe ich immer geantwortet: Er möchte das von sich aus und ich ziehe meinen Hut davor, denn ich würde das nicht packen.“
Schule und Spitzensport – passt das zusammen?
Was genau sein Vater nicht gepackt hätte, beschreibt Tizian Lauria so: „Ich hatte mich dagegen entschieden, auf eine Schule mit Sportprofil zu gehen und habe mein Abi ganz normal mit G8 auf dem Gymnasium gemacht, weil ich dort meine Freunde hatte und mich mit den Lehrern so gut verstanden habe, dass Freistellungen für den Sport kein Problem waren. Aber ich hatte halt viermal in der Woche bis 16.30 Uhr Mittagschule. Da ich noch keinen Führerschein hatte, mussten mich meine Eltern zum Olympiastützpunkt fahren, wo ich dann drei Stunden trainiert habe. Ich habe in der Zeit gelernt, mit Druck und Stress umzugehen, und bin meinen Eltern dankbar, dass sie mich unterstützt und mir den Rücken freigehalten haben.“
Jochen und Helen Briem
G8 ist auch für Joachim Weishars Tochter Maya, die demnächst ihr Abitur schreibt, ein Stressfaktor. Zwar sei die Schule meist gesprächsbereit, was Freistellungen für den Sport angehe, aber manchmal sei er dennoch „innerlich fassungslos“. 2022, so Joachim Weishar, sei Maya in Englisch auf 1,8 gestanden. „Sie hat ein zweiwöchiges Europameisterschaftsturnier gespielt und musste direkt danach eine bedeutungslose Klassenarbeit nachschreiben. Mit einer Eins hätte sie im Zeugnis einen Zweier bekommen, mit einer Sechs genauso. Da frage ich mich: muss das sein, dass man sie hier auf Krampf noch nachschreiben lässt, oder kann man so eine Arbeit nicht doch mal ausfallen lassen?“
Wesentlich entspannter steuert Helen Briem momentan auf ihr Abitur zu. „Ich bin auf einem ganz normalen Gymnasium bei uns in Nürtingen und habe hier die Möglichkeit, die Oberstufe auf drei Jahre zu strecken“, weiß die Golfspielerin. „Dadurch habe ich im Schnitt nur 25 Wochenstunden, die Klausuren sind nicht so eng getaktet und ich muss nicht ganz so viel nachholen, wenn ich Turniere spiele.“
Voll des Lobes ist Elly Wrobel für die Stuttgarter Johann-Friedrich-von-Cotta-Schule als Eliteschule des Sports. Bevor David von der Realschule dorthin wechselte, hatte die Familie bereits ihre einschlägigen Erfahrungen mit dem Regelschulsystem gemacht: „Als er seine erste Berufung zum Sichtungslehrgang für den D-Kader bekam, hätte er eine Schulbefreiung für einen Tag benötigt. Das war ein Kampf ohne Ende mit dem Rektor. Ich habe mich echt auf die Hinterfüße gestellt und gesagt, wenn mein Junge berufen wird und dort hin möchte, dann möchte ich auch, dass ihm dies ermöglicht wird. Er hat dann auch seine Freistellung bekommen, musste dafür aber einen dreiseitigen Aufsatz darüber schreiben und wurde damit quasi dafür bestraft.“
Ganz anders verhielt es sich dann an der Cotta-Schule, die neben David Wrobel auch Frank Stäbler besucht hat. Freistellungen und Nachschreibetermine seien dort gar kein Problem und man müsse sich „nicht dafür genieren, dass man Leistungssport macht.“
Sportler-Mobbing
Nach seinem ersten Tag an der Cotta-Schule kam David Wrobel strahlend nach Hause, wie seine Mutter berichtet: „Er sagte, Mama, endlich bin ich in einer Klasse, in der sie mich mögen. Das sind alles Sportler, alle denken gleich und keiner ist neidisch auf den anderen.“
An der Realschule dagegen hatten die Fußballer den jungen Leichtathleten auf dem Kieker. „Ich vermute, weil ich für Lehrgänge freigestellt wurde und sie nicht, und weil ich dennoch gute Noten geschrieben habe“, berichtet er. „Das ging so weit, dass sie mich zu zehnt aufgelauert und in eine Ecke gedrängt hatten. Gottseidank hat eine Lehrerin die Situation mitbekommen und ist eingeschritten. Aber das war kein Spaß.“
Auch die anderen Sportlerinnen und Sportler haben mit Mobbing ihre Erfahrungen gemacht. „Das war nicht so extrem wie bei David, aber wenn du dann zu hören kriegst, dass du eh nie da bist und man dich deshalb gar nicht erst fragt, ob du ins Kino mitgehst, ist das nicht angenehm“, so Tizian Lauria. Gaby Nuss kennt Sprüche wie diese aus Erzählungen ihrer Tochter Andrea Rothfuss: „Es tut einer Mutter dann natürlich schon weh, wenn sie mitbekommt, dass ihr Kind aus der Klassengemeinschaft ausgeschlossen wird, weil es beim Training oder bei Wettkämpfen ist.“
Carmen Lauria
Rito Nick Lauria
Tizian Lauria
Stolze Eltern
„Natürlich bin ich stolz auf Frank“, entgegnet Michaela Stäbler vehement, als wir fragen, ob sie auf das, was ihr Sohn erreicht hat, stolz sei. „Doch ich bin nicht auf seine Erfolge stolz, sondern auf den tollen Menschen, den der Sport aus ihm gemacht hat. Aber klar, wenn du in der Halle bist und für deinen Sohn die Nationalhyme gespielt wird, dann platzt du natürlich vor Stolz und heulst Rotz und Wasser.“
Dies bestätigt auch Carmen Lauria, die 2023 gemeinsam mit Tizians Freundin Jana Herrmann im Stadion war, als ihr Sohn in Finnland U23-Europameister wurde: „Es war sein Traum, dass einmal die Nationalhymne für ihn gespielt wird. Als ich sie dann gehört habe, war es bei mir aus, weil ich wusste, was ihm dies bedeutet. Da konnte ich die Tränen auch nicht mehr zurückhalten. Aber ich muss auch sagen, ich war damals genauso stolz, als er als kleiner Knirps den Skikurs beendet und seine Urkunde in Empfang genommen hat.“
Stolz auf ihre Kinder sind alle Elternteile in unserer Gesprächsrunde, und sie können auch stolz auf sich selbst sein – denn sie haben die jeweiligen Grundsteine für die Erfolge ihrer Kinder gelegt.
Wie zitierte doch Rito Nick Lauria Tizians ehemaligen Trainer? „Egal in welcher Sportart – du kannst als Kind noch so viel Talent haben. Wenn deine Eltern nicht zu einhundert Prozent hinter dir stehen, dann hast du keine Möglichkeit, dein Talent zu entfalten.“
ELTERNABEND TEIL 2 – BRIGITTA UND HARRO SIEGEMUND
Eigentlich wären Brigitta und Harro Siegemund gerne beim „großen Elternabend“ dabei gewesen, um sich auch mit den anderen Familien auszutauschen.
Da sich unser Termin jedoch mit ihrem Urlaub überschnitt, haben wir uns mit den Eltern von Tennisspielerin Laura Siegemund (36) online getroffen – und festgestellt, dass sich ihre Erzählungen aus Lauras Jugend zum großen Teil mit denen der anderen Sportlereltern decken.
Brigitta, Harro, eure Tochter steht zur Zeit auf Rang 4 der Doppel-und Rang 87 der Einzel-Weltrangliste. War es in ihrer Kindheit schon absehbar, dass sie mal so erfolgreich sein würde?
Harro Siegemund: Dass es abzusehen war, würde ich so nicht sagen, denn da spielen zu viele Faktoren mit. Aber wir waren schon damals, als wir vor dem Haus auf der Straße mit den Family Tennis-Plastikschlägern mit ihr gespielt haben, verblüfft, dass sie fast jeden Ball getroffen hat. Da war sie gerade mal zwei Jahre alt.
Brigitta Siegemund: Das war in der Zeit, als Steffi Graf und Monica Seles erfolgreich waren. Ich habe mir deren Spiele im Fernsehen angeschaut, und Laura saß bei mir auf dem Schoß und hat die Matches mitgeschaut. Dabei hat sie das Stöhnen der Seles nachgemacht und wollte nach Spielende gleich raus und selbst Bälle schlagen. Mit drei Jahren haben wir sie dann zum Tennistraining angemeldet.
Ihr wart ja dann mit der ganzen Familie recht lange im Ausland…
Harro Siegemund: Ja, genau. Ich musste beruflich für drei Jahre nach Saudi Arabien, als Laura vier Jahre alt war. Wir haben dort den Trainer der saudischen Nationalmannschaft kennengelernt, der vormittags für drei Stunden ein paar Kinder trainiert hat. Lauras fünf Jahre älterer Bruder war dort auch dabei, und Laura hat anfangs nur zugeschaut. Es ging aber nicht lange und sie stand mit den Kids auf dem Platz. Der Trainer hat ihr Talent gleich erkannt und hat sie entsprechend gefördert.
Brigitta Siegemund: Als sie acht war, waren wir auch nochmal für ein Jahr in Indonesien. Dort hat sie dann schon recht erfolgreich bei Jugendturnieren mitgespielt.
Laura Siegemund und Vera Zvonareva im Moment ihres größten Erfolgs bei den WTA Finals 2023. Fotos: privat
Und zuhause nahm die Karriere dann ihren Lauf?
Brigitta Siegemund: Es ging zumindest los. Mit neun Jahren kam sie in den Bezirkskader und begann, dreimal pro Woche in Stammheim zu trainieren. Ich habe ihr Mittagessen gekocht und sie in Metzingen von der Schule abgeholt. Im Auto hat sie auf der 45-minütigen Fahrt aus dem Tupperschüsselchen gegessen und ihre Hausaufgaben gemacht. Wieder zurück in Metzingen, ging sie dann noch zum Turnen, aß zu Abend, machte die restlichen Hausis, und dann war auch schon Bettzeit.
Harro Siegemund: Als sie ca. 12 Jahre alt war, ging es dann sportlich richtig bergauf. In Deutschland hatte sich mit Laura, Tatjana Maria und Angelique Kerber ein Dreigestirn gebildet, das sich regelmäßig in den Endspielen traf. In Miami konnte sie den Orange Bowl gewinnen, der quasi die inoffizielle Weltmeisterschaft war.
Brigitta Siegemund: Der Erfolg hat aber nicht nur positive Dinge mit sich gebracht. In der Schule wurde sie gemobbt und der Deutsche Tennisbund hat uns nahegelegt, dass wir einen Privattrainer für sie suchen sollen. Den haben wir in Bamberg gefunden. Also habe ich mit ihr für rund eineinhalb Jahre den Großteil der Woche in Bamberg verbracht und wir waren quasi nur noch eine Wochenendfamilie.
Das war dann auch die Zeit, wo sie als „die neue Steffi Graf“ tituliert wurde…
Harro Siegemund: Das hat mich wahnsinnig aufgeregt. Nach dem Sieg in Miami war sie beim zweiten großen Jugendturnier in Tarbes früh ausgeschieden. Brigitta und ich gaben dem Spiegel ein Interview, bei dem alles, was wir gesagt haben, total falsch wiedergegeben wurde. „Wertanlage mit Zahnspange“ lautete die Überschrift und im Artikel wurde uns unterstellt, dass wir als Eltern sie pushen, um mit ihr Kohle zu machen. Wir sind deshalb auch zum Anwalt gegangen, denn wir haben ihr nie Druck gemacht. Gottseidank hat sie das damals nicht belastet. Zum Steffi-Graf-Vergleich meinte sie nur, ich bin die erste Laura und nicht die zweite Steffi.
In unserem Interview in der zweiten SPORT.S-Ausgabe hat sie uns erzählt, dass sie ca. mit 20 Jahren mit dem Tennis aufhören wollte. Wie hattet ihr das wahrgenommen?
Brigitta Siegemund: Da waren mehrere Dinge zusammengekommen. Dieser volle Fokus auf das Tennisspielen war ihr zu viel geworden. Auch wir hatten im Lauf der Zeit ein paar Entscheidungen getroffen, die wir heute so nicht mehr treffen würden, und die dazu beigetragen haben. Sie hat dann mit ihrem Studium begonnen und das Tennis nur noch nebenher laufen lassen. Plötzlich kamen die Erfolge zurück. Erst bei regionalen, dann bei deutschen Turnieren. Und da ist ihre Karriere dann richtig ins Rollen gekommen.
Harro Siegemund: Da die Fliegerei zu teuer war, sind wir dann mit ihr mit dem Auto quer durch Europa zu Turnieren gefahren, nach Bulgarien, Spanien, Belgien, Frankreich, in die Schweiz – und in Tschechien wurde uns sogar mal das Auto geklaut.
Brigitta Siegemund: Ich habe mich in der Zeit um die ganze Organisation gekümmert, damit sie sich nur darauf konzentrieren musste, ihre Tennisschuhe und ihren Schläger einzupacken. 2008 habe ich mich dann bei ihren Flügen verbucht und sie musste statt auf Réunion ein Turnier in Kalkutta spielen. Ui, da war sie sauer, und zwar zurecht. Seither kümmert sie sich selbst um alles.
Wie geht es euch, wenn ihr ihren heutigen Erfolg betrachtet?
Harro Siegemund: Es ist mehr als bewundernswert, was das Mädel leistet, mit welcher Konsequenz und Härte gegen sich selbst sie das Sportlerleben mit all dem Training durchzieht. Und das Schöne ist, dass sie das alles unheimlich gern macht. Das ist unsere Laura. Das ist ihre Welt. Und wir versuchen, ihr so oft wie möglich nachzureisen und sie direkt am Platz zu unterstützen.