Judo Top-Team BaWü: Förderprojekt für die besten Judoka

„Wie können wir unsere Top-Judoka aus dem Land so fördern, dass ihnen durch Trainingslager und Wettkämpfe keine Kosten entstehen und sie uneingeschränkt an allen Maßnahmen teilnehmen können, die sie in ihrer Entwicklung vorwärts bringen?“ Diese Frage stellte sich Mirko Grosche vor rund sieben Jahren. Gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom Badischen (BJV) und Württembergischen Judo-Verband (WJV) arbeitete der Landestrainer das Konzept des Judo Top-Teams Baden-Württemberg aus, dessen Startschuss am 1.1.2018 fiel.

Mit der Original-Besetzung Sven Heinle, Patrycia Szekely, Sappho Çoban, Katharina Menz, Anna-Maria Wagner und Alina Böhm gestartet, feierte das Förderprojekt schon bald erste Erfolge. Jüngst kam im Mai 2024 der zweite Weltmeistertitel von Anna-Maria Wagner dazu, die auch bei den Olympischen Spielen in Paris zu den deutschen Gold-Hoffnungen gehört. Wir nehmen das Judo Top-Team Baden-Württemberg für die SPORT.S-Leser etwas genauer unter die Lupe. 

Autor:Ralf Scherlinzky

25. Juni 2024

Anna-Maria Wagner, Sarah Mehlau, Katharina Menz, Alina Böhm, Lea Schmid und Louis Mai beim Fotoshooting in der Motorworld Böblingen. Fotos: Stefan Buchner

Zwei Goldmedaillen und einmal Silber bei Weltmeisterschaften, drei Bronzemedaillen bei den Olympischen Spielen in Tokio, zwei Gold-, eine Silber- und zwei Bronzemedaillen bei Europameisterschaften, eine Bronzemedaille bei der Junioren-WM, eine Silbermedaille bei der U23-EM und eine Bronzemedaille bei der U21-EM – die Bilanz des Judo Top-Teams Baden-Württemberg in den letzten sechs Jahren kann sich wahrlich sehen lassen.

„Darauf sind wir auch unheimlich stolz“, sagt Mirko Grosche. In Zusammenarbeit mit Esther Pisch (BJV, Organisation und Marketing) und Thomas Schmid (WJV, Geschäftsstelle und Finanzen) ist der 56-jährige Landestrainer die treibende Kraft hinter dem Top-Team. „Wie in den meisten Verbänden werden nur die absoluten Spitzenleute vom Deutschen Judo-Bund (DJB) in allen Bereichen unterstützt. Dabei sind es gerade die jungen Talente, die den Support brauchen, um sich zu Topleuten entwickeln zu können. Mit dem Top-Team haben wir eine Plattform geschaffen, über die wir alle unsere Athletinnen und Athleten sowohl finanziell als auch ideell fördern können“, erklärt Mirko Grosche.

Gruppenfoto des Judo Top-Teams Baden-Württemberg mit einigen seiner Paten in der Motorworld Böblingen.

​Alumni-Patenschaften

Grundidee sei es gewesen, ehemalige Judoka nach dem Vorbild der Hochschul-Alumnis weiter an den Judosport zu binden. „Viele von ihnen sind heute erfolgreiche Geschäftsleute, die auch bereit sind, ihrem Sport etwas zurückzugeben. Sie haben inzwischen zum Teil Patenschaften für unsere sechs Teammitglieder übernommen. Wird jemand von unseren Leuten vom DJB nicht zu den großen Events nominiert, müssen sie stattdessen irgendwo auf der Welt bei anderen Turnieren Kampfpraxis sammeln. Als Azubi oder Studentin kannst du dir nicht einfach einen Flug nach Aserbaidschan oder in die Emirate leisten. Hier springen dann die Paten in die Bresche, die bei der Finanzierung helfen“, erklärt Mirko Grosche.

Die Athletinnen und Athleten stehen im Gegenzug für ihre Paten bei Firmenevents zur Verfügung, und schon längst sind aus den Patenschaften zum Teil persönliche Sponsorings und Freundschaften entstanden. Einmal im Jahr gibt es ein Treffen des Top-Teams mit seinen Paten und Sponsoren – wie zuletzt im Dezember 2023 beim gemeinsamen Fotoshooting in Böblingen mit anschließendem Abendessen.

Aufnahmekriterien

Um in das Judo Top-Team aufgenommen zu werden, müssen die Athletinnen und Athleten einige Kriterien erfüllen. „Sie müssen zum einen aus Baden-Württemberg stammen und hier auch ihren Lebens- und Trainingsmittelpunkt haben. Außerdem müssen sie schon den Beweis erbracht haben, dass sie sportlich das Zeug für eine Olympiateilnahme haben – sprich, sie müssen im Nachwuchsbereich schon eine internationale Medaille nachweisen können“, erklärt Mirko Grosche.
Den ersten Umbruch im Team hatte es 2021 nach den Olympischen Spielen in Tokio gegeben, von denen Anna-Maria Wagner und Katharina Menz Bronzemedaillen mit nach Hause brachten. Sven Heinle, Patrycia Szekely und Sappho Çoban beendeten ihre Karrieren und machten Platz für die Talente Louis Mai, Lea Schmid und Sarah Mehlau.
Die ersten Erfolge der drei „Neuzugänge“ ließen nicht lange auf sich warten: 2022 gewann Lea Schmid die Silbermedaille bei der U23-Europameisterschaft, Sarah Mehlau tat es ihr bei der U21-EM gleich und Louis Mai wurde Dritter bei den Deutschen Meisterschaften.

 

Die ganz großen Erfolge

Die großen Erfolge blieben nach dem Umbruch im Team nach den Spielen in Tokio jedoch den Gründungsmitgliedern des Top-Teams vorbehalten. Alina Böhm wurde 2022 und 2023 Europameisterin, Katharina Menz 2022 Vizeweltmeisterin – und zuletzt holte sich Anna-Maria Wagner Anfang Mai 2024 zum zweiten Mal den Weltmeistertitel (zum Interview mit Anna-Maria Wagner).
Ein Dilemma zieht sich dabei schon durch die ganzen letzten Jahre: Sowohl Anna-Maria Wagner als auch Alina Böhm kämpfen in der Gewichtsklasse -78 kg, in der auch Lea Schmid beheimatet ist. Mirko Grosche: „Es ist echt ein Drama: Wir haben zwei der weltbesten Kämpferinnen bis 78 Kilogramm, und mit der Junioren-Weltmeisterin Anna Olek aus Hannover gibt es sogar noch eine weitere ganz starke deutsche Athletin. Der DJB reduzierte schon früh seine möglichen Paris-Fahrerinnen auf Anna-Maria und Alina, aber dennoch gibt es am Ende für die Olympischen Spiele nur einen Platz.“

Olympische Spiele 2024

Diesen Platz sicherte sich Anna-Maria Wagner mit dem Gewinn des Weltmeistertitels. „Das war zwei Jahre lang ein Kopf-an-Kopf-Rennen, und obwohl Alina 2022 und 2023 Europameisterin wurde, darf sie nicht mit nach Paris fahren. Das tut uns allen schrecklich weh“, schüttelt Mirko Grosche den Kopf.
Auch für Louis Mai erfüllte sich der Traum von der Olympia-Teilnahme durch seine Niederlage in der zweiten Runde bei der WM nicht. Komplizierter ist die Lage bei Katharina Menz. „Als Vizeweltmeisterin 2022 lange Zeit fast sicher qualifiziert, ist sie durch frühe Niederlagen in den letzten Turnieren doch noch rausgefallen. Sie ist aber erste Nachrückerin für Paris, falls von einem Kontinent der sogenannte ‚Kontinentalquotenplatz‘ nicht in Anspruch genommen wird. Wir schielen hier vor allem in Richtung Ozeanien. Wenn von dort niemand gestellt wird, könnte Katha am 1. Juli noch reinrutschen“, erklärt Mirko Grosche. (Nachträgliche Anmerkung der Redaktion: Auch Katharina Menz ist in Paris dabei!!!)
Zu früh kommen die Spiele für Lea Schmid und Sarah Mehlau, die zuletzt beide wegen eines Kreuzbandrisses für längere Zeit ausgefallen waren. Während Sarah Mehlau noch auf ihr Comeback wartet, meldete sich Lea Schmid im Mai mit Titelgewinnen bei den Deutschen Polizeimeisterschaften und der Goldmedaille beim Europa Cup in Bosnien-Herzegovina eindrucksvoll zurück.
Ihre Zeit wird 2028 und 2032 kommen – gemeinsam mit eventuellen „Neuzugängen“, die im Anschluss an Paris möglicherweise zum Top-Team stoßen werden.

 

Das aktuelle Judo Top-Team:

Anna-Maria Wagner

28 Jahre, aus Ravensburg, Klasse -78 kg
Weltmeisterin 2021 + 2024,
Bronzemedaillen Olympische Spiele 2021 Einzel + Team, 3 x Deutsche Meisterin

Alina Böhm

26 Jahre, aus Böbingen, Klasse -78 kg
Europameisterin 2022 + 2023,
EM-Dritte 2024, U18-Europameisterin 2015, Deutsche Meisterin 2020

Katharina Menz

33 Jahre, aus Backnang, Klasse -48 kg
Vizeweltmeisterin 2022, Bronzemedaille Olympische Spiele 2021 Team,
8 x Deutsche Meisterin

Louis Mai

23 Jahre, aus Mannheim, Klasse -100 kg
Bronzemedaille Junioren-WM 2019, Bronzemedaille Deutsche Meisterschaft 2022

Lea Schmid

23 Jahre, aus Göggingen, Klasse -78 kg
Silbermedaille U23-EM 2022, Silbermedaille Deutsche Meisterschaft 2022

Sarah Mehlau

21 Jahre, aus Winnenden, Klasse -70 kg
Bronzemedaille U21-EM 2022, Silbermedaille Deutsche U21-Meisterschaft 2021