Isabell Werth: Stuttgart im Herzen
Isabell Werth – ein Name, der weltweit für Perfektion, Disziplin und Leidenschaft im Dressursport steht. Mit sieben Olympiateilnahmen, 14 Olympischen Medaillen sowie zahllosen Welt- und Europameistertiteln ist sie die erfolgreichste Reiterin aller Zeiten. Doch trotz ihrer beeindruckenden Erfolge bleibt sie nahbar und bodenständig – und vor allem: Sie bleibt ihrer Leidenschaft für den Sport treu. Stuttgart hat dabei seit Jahren einen festen Platz in ihrem Turnierkalender. Das German Masters in der Schleyerhalle ist nicht nur eines der traditionsreichsten Reitturniere, sondern auch eines, das für die Olympiasiegerin durch seine besondere Atmosphäre und herausragenden Bedingungen immer wieder eine zentrale Rolle spielt. Im Gespräch gibt die 55-Jährige Einblicke in ihr Leben mit den Pferden, erzählt von den Herausforderungen bei Olympia und erklärt, was sie nach all den Jahren immer noch antreibt.
Autor:Ralf Scherlinzky
Isabell, nach deinem beeindruckenden Sieg bei den German Masters 2024: War das ein Pflichtsieg oder eine echte Herausforderung?
Isabell Werth: Man kann jeden Ritt immer noch ein Stück verbessern, aber ich bin sehr zufrieden. Meine Stute zeigte sich in Stuttgart von ihrer besten Seite, auch wenn sie noch viel Feuer und Temperament hat. Das Ziel war, sie wieder in den Rhythmus zu bringen, und das ist uns gelungen. Nach der Pause nach Paris brauchte sie diesen Schritt, um wieder fokussiert in den Wettkampfmodus zu kommen.
Du reitest regelmäßig unterschiedliche Pferde. Wie stellst Du dich auf die verschiedenen Charaktere ein?
Isabell Werth: Das ist tatsächlich eine sehr individuelle Aufgabe. Jedes Pferd ist einzigartig, und genau das macht diesen Sport so besonders. Die Beziehung zu einem Pferd ist wie zu einem Menschen – man lernt mit der Zeit, miteinander zu kommunizieren, und das Feingefühl wächst mit jeder gemeinsamen Erfahrung. Das beginnt bei den ersten Schritten eines jungen Pferdes und reicht bis zum voll ausgebildeten Grand-Prix-Tier. Diese Entwicklung ist ein Prozess, der Jahre dauert.
Wie läuft dieser Ausbildungsprozess ab?
Isabell Werth: Am Anfang steht das Fundament: Schritt, Trab, Galopp. Ein junges Pferd muss zunächst verstehen, was bestimmte Hilfen bedeuten – etwa, dass eine Schenkelhilfe ein Signal zum Angaloppieren ist. Dann folgt der nächste Schritt: Paraden, präzisere Bewegungsabläufe und später die höheren Lektionen wie fliegende Wechsel. Bis ein Pferd die anspruchsvollen Grand-Prix-Bewegungen beherrscht, können leicht drei bis fünf Jahre vergehen – je nach Talent und Lernfähigkeit. Es ist wie in der Schule: Erst die Grundschule, dann das Gymnasium, und irgendwann kommt der „Bachelor“ und der „Master“.
Du hast eine beeindruckende Erfolgsquote. Gibt es dennoch Pferde, die es nicht bis ganz nach oben schaffen?
Isabell Werth: Natürlich. Nicht jedes Pferd hat das Talent oder die mentale Stärke, um auf höchstem Niveau zu bestehen. Das ist keine Schande, sondern Teil des Auswahlprozesses. Manche Pferde sind besser für nationale Turniere geeignet, andere wiederum für die internationale Bühne. Es gibt auch Fälle, in denen ich entscheide, dass ein Pferd bei einem anderen Reiter glücklicher und erfolgreicher sein könnte. Das gehört dazu.
Erfolgreiches Duo: Isabell Werth und ihre Stute Wendy. Foto: STUTTGART GERMAN MASTERS / M. Bechert
Paris war eines deiner Highlights. Wie war es, dort mit einer vergleichsweise jungen Stute anzutreten?
Isabell Werth: Es war eine außergewöhnliche Erfahrung. Wir hatten nur fünf Monate Zeit, um uns aufeinander einzustellen, aber die Chemie hat von Anfang an gestimmt. Das Pferd hat eine beeindruckende Entwicklung gezeigt, und meine Erfahrung hat sicherlich geholfen, diese kurze Vorbereitungszeit optimal zu nutzen. Paris selbst war ein absolutes Erlebnis: Die historischen Schauplätze, die Kompaktheit der Spiele – alles war perfekt organisiert. Es war mein siebtes Mal bei Olympia, aber diese Spiele hatten eine ganz besondere Atmosphäre.
Hat man bei den Olympischen Spielen überhaupt Zeit, andere Wettkämpfe zu sehen?
Isabell Werth: Das hängt stark vom Zeitplan ab. Ich habe versucht, neben dem Reiten ein wenig von der Stadt und anderen Sportarten mitzubekommen. Wir waren zum Beispiel in der Stadt unterwegs und wollten ins Leichtathletikstadion – aber gerade in dem Moment gab es eine Bombendrohung, und der Zugang war gesperrt. Solche Dinge gehören leider auch dazu.
Isabell Werth mit SPORT.S-Herausgeber Ralf Scherlinzky und unserer Ausgabe 9.
Wenn du auf deine sieben Olympiateilnahmen zurückblickst: Sind die Spiele noch genauso aufregend wie beim ersten Mal?
Isabell Werth: Jede Teilnahme ist besonders. Olympia ist ein Ausnahmeereignis, gerade für kleinere Sportarten wie unsere, die sonst oft im Schatten von Fußball oder Tennis stehen. Hier bekommen wir die Aufmerksamkeit, die wir verdienen und können zeigen, was wir leisten. Paris war perfekt dafür – die Spiele fanden zur besten Sendezeit statt, und die Zuschauerresonanz war gewaltig. Tokio hingegen war schwierig, vor allem durch die Geisterspiele ohne Publikum. Es ist immer ein Highlight, aber jedes Mal auf seine eigene Weise.
Das German Masters in Stuttgart ist für dich ein fester Bestandteil im Turnierkalender. Was macht dieses Event so besonders?
Isabell Werth: Die Atmosphäre in der Schleyerhalle ist einzigartig. Stuttgart war eines der ersten großen Hallenturniere im Reitsport und hat bis heute seinen besonderen Charme behalten. Alles findet in einer Halle statt, vom Dressurreiten bis zu den anderen Disziplinen – das schafft eine unvergleichliche Stimmung. Außerdem sind die Bedingungen für die Pferde hier ideal. Die Weitläufigkeit der Halle nimmt ihnen oft die Nervosität, die in kleineren Hallen auftreten kann.
Abschließend: Was treibt dich nach all den Erfolgen immer noch an?
Isabell Werth: Die Liebe zum Sport und zu den Pferden. Solange ich gesund bin und die Leidenschaft spüre, mache ich weiter. Denn am Ende geht es darum, jeden Tag das Beste zu geben – für das Pferd, den Sport und sich selbst.