Bera Wierhake: Hochleistungssport mit Spenderleber

Die Leichtathletik-Abteilung des VfB Stuttgart hat zum Jahreswechsel eine ganz besondere Sportlerin unter Vertrag genommen.

Bera Wierhake ist siebenfache Weltmeisterin in einer Kategorie, die bisher nur Insidern bekannt ist: der Transplantierten-Leichtathletik. Seit sie neun Monate alt war, lebt die 23-Jährige mit einer Spenderleber. Dies hält sie jedoch nicht davon ab, sportliche Höchstleistungen zu erbringen. Vor allem die Mittelstrecken von 1.500 bis 5.000 Meter haben es der aus Öhringen stammenden Läuferin angetan.

Seit Jahresbeginn ist sie nun beim VfB Teamkollegin von Sportlern wie Leo Neugebauer und Niko Kappel. Wir haben uns mit ihr getroffen, um mehr über sie, ihr Leben und ihren Sport zu erfahren. 

Autor:Ralf Scherlinzky

25. März 2024

Foto: Hansi Britsch / Pressefoto Baumann

Bera, du lebst seit deiner frühen Kindheit mit einem fremden Organ. Wie kam es dazu?

Bera Wierhake: Als ich zwei Wochen alt war, haben die Ärzte festgestellt, dass bei mir der Übergang von der Galle zur Leber perforiert war, wodurch sich die Leber nach und nach selbst zerstört hat. Deshalb war meine einzige Überlebenschance eine Transplantation, und ich habe mit neun Monaten meine neue Leber bekommen.

 

Hast du im täglichen Leben dadurch Beeinträchtigungen?

Bera Wierhake: Eigentlich nicht. Ich nehme halt täglich Tabletten, damit mein Körper das Organ nicht abstößt. Und ich muss mich regelmäßig durchchecken lassen. Sonst läuft aber alles normal.

 

Wie hat deine Kindheit mit Spenderorgan ausgesehen? Musstest du besonders vorsichtig sein?

Bera Wierhake: Meine Eltern haben mich nicht in Watte gepackt, so dass ich aufwachsen konnte wie jedes andere Kind auch. Dafür bin ich ihnen bis heute dankbar, denn ich habe es bei anderen transplantierten Kindern auch anders erlebt. Schon seit ich denken kann, bin ich gerne aktiv und habe viele verschiedene Sportarten ausprobiert. Das Spektrum reicht von Ballett über Turnen und Reiten bis hin zum Fußball.

 

Und dann hast du die Leichtathletik für dich entdeckt…

Bera Wierhake: Genau. Als ich 15 Jahre alt war, hat mir bei einer Ferienfreizeit für transplantierte Kinder eine Krankenschwester von Leichtathletik-Meisterschaften für Transplantierte erzählt. Als ich das gehört habe, war mir klar, da will ich hin. Ein halbes Jahr später habe ich an den Deutschen Meisterschaften der Transplantierten teilgenommen und konnte auf Anhieb gleich vier Meistertitel in den Laufdistanzen 100, 200, 1.500 und 3.000 Meter holen – das hätte ich nie erwartet.

 

Inzwischen sind sieben Welt- und vier Europameistertitel dazugekommen und du bist quasi die schnellste Frau der Welt mit Spenderorgan. Trittst du auch gegen nicht-transplantierte Athletinnen an?

Bera Wierhake: Ja klar, denn es gibt ja nicht allzu häufig Wettbewerbe der Transplantierten. Ich kann bis zu den Süddeutschen Meisterschaften mitlaufen, erreiche aber aufgrund der täglichen Tabletteneinnahme doch nicht ganz die Leistungsfähigkeit der „Normalos“.

 

Können transplantierte Athleten eigentlich an paralympischen Wettbewerben teilnehmen?

Bera Wierhake: Nein, leider nicht. Wir haben zwar alle einen Schwerbehindertenausweis, es gibt für uns aber leider keine eigene Startklasse, was ich sehr bedauere.

 

Wie schaut es mit der finanziellen Förderung durch den Verband aus? Eure Weltmeisterschaften finden ja auf sämtlichen Kontinenten statt.

Bera Wierhake: Ich musste bisher tatsächlich fast alles aus eigener Tasche bezahlen – die Flüge, meine Hotelzimmer, selbst das Deutschland-Trikot. Inzwischen habe ich ein paar Sponsoren, die mich hier entlasten. Und durch meinen Wechsel zum VfB werde ich jetzt auch vom Verein unterstützt.

 

Gibt es bei all den Erfolgen, die du gefeiert hast, einen, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Bera Wierhake: Auch wenn wir bei den Wettkämpfen in Konkurrenz zueinander stehen, ist neben dem sportlichen Ehrgeiz auf den Meisterschaften ein zweiter Wert ganz wichtig: das Leben gemeinsam zu feiern. Wir sind dort wie eine große Familie, in der jeder dem anderen hilft, in der man sich gegenseitig unterstützt und die Siege der anderen wie die eigenen feiert. Schließlich sind wir alle durch die Tatsache verbunden, dass wir dank eines Spenderorgans noch am Leben sein dürfen – und das verbindet.
Es gibt aber tatsächlich ein Ereignis, das mir heute noch eine Gänsehaut bereitet, wenn ich daran zurückdenke. Bei meiner ersten WM in Malaga stand ich vor meinem 400-Meter-Lauf am Startblock und habe nochmal auf die Tribüne geschaut. Dort saßen über 1.000 Menschen mit Spenderorganen und mir wurde in dem Moment bewusst, dass das Stadion leer wäre, wenn es keine Organspender geben würde. Das hat mich mit einer tiefen Dankbarkeit erfüllt – und ich habe in dem Lauf Gold gewonnen.

 

A propos Organspender: Die Webseite www.organspende-info.de der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung besagt, dass in Deutschland ca. 8.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen und es in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern relativ wenige Organspender gibt. Was kannst du unseren Leserinnen und Lesern dazu mit auf den Weg geben?

Bera Wierhake: Mein Wunsch wäre, dass sich jeder einmal näher mit dem Thema beschäftigt. Es gibt dazu viele sehr gute Quellen im Internet, die die Organspende neutral von allen Seiten beleuchten. Sprecht mit eurer Familie und euren Freunden darüber. Letztendlich entscheidet aber ihr selbst darüber, ob ihr eure Organe spenden möchtet oder nicht. Was allgemein vielleicht nicht so bekannt ist: Auf dem Organspendeausweis habt ihr auch die Möglichkeit, einer Organentnahme zu widersprechen. Wie auch immer ihr euch entscheidet – wenn ihr einen Organspendeausweis mit euch führt, helft ihr euren Angehörigen in dem Fall, dass euch etwas zustoßen sollte, bei der Entscheidung, was mit euren Organen passieren soll.

 

Du hältst inzwischen auch Vorträge, bei denen du deine Geschichte erzählst. Was hat es damit auf sich?

Bera Wierhake: Das hat ursprünglich damit begonnen, dass ich betroffenen Familien Mut machen und zeigen wollte, dass auch mit Spenderorgan ein normales Leben möglich ist. Erst habe ich Vorträge in medizinischen Einrichtungen gehalten, inzwischen gehe ich aber auch als Keynote Speaker zu Firmenveranstaltungen und Unternehmerabenden, bei denen ich meine Geschichte erzähle.

 

 

Anfragen für Impulsvorträge von Bera Wierhake nehmen wir bei WinWin-Sportmarketing gerne per Mail an bera@sportathleten.de entgegen.