Jannik Steimle – Radprofi im Team Soudal Quick-Step
Das Team Soudal Quick-Step ist so etwas wie das Nonplusultra des internationalen Radrennsports – vor allem, was Klassiker-Rennen wie Parix-Roubaix, Lüttich-Bastogne-Lüttich oder die Flandern-Rundfahrt angeht. Das belgische Team, das den Spitznamen „The Wolfpack“ trägt, strotzt vor klingenden Namen wie dem zweifachen Weltmeister Julian Alaphilippe und dem „Wunderkind“ Remco Evenepoel, der mit 22 Jahren schon die „Vuelta“ in Spanien gewinnen konnte.
In der 29-köpfigen, hauptsächlich aus belgischen und französischen Fahrern bestehenden Profiriege, steht mit Jannik Steimle auch ein deutscher Fahrer. Wir haben uns mit dem 27-Jährigen gebürtigen Weilheimer in seinem Wohnort Schorndorf getroffen, um für unsere Leser herauszufinden, was es braucht, um Radprofi zu werden, und wie das Leben eines Spitzensportlers in Reihen des Soudal Quick-Step Teams aussieht.
Fotos: Wout Beel
Autor: Lara Auchter
Fangen wir mal vorne an: Wie bist du zum Radfahren gekommen?
Jannik Steimle: Meine Familie hatte mit dem Radfahren ursprünglich gar nichts am Hut. Mein Papa war Fußballspieler und Skifahrer, meine Mama hat Tennis gespielt. Also habe ich als Kind natürlich auch all diese Sportarten betrieben. Wir hatten im Sommer ab und zu Konditionstraining auf dem Rad. Mein damaliger Trainer war früher Mountainbiker und hat bei mir ein gewisses Talent erkannt. Kurz darauf bekam ich auch ein Mountainbike und bin dann immer mehr Rennen in der Region gefahren.
Ist dir dabei deine allgemeine Sportlichkeit zugutegekommen?
Jannik Steimle: Ich denke schon. Ich habe ja wirklich jeden Sport gemacht und ich denke, gerade beim Skifahren braucht man auch diese Körperbeherrschung und fährt mit ähnlich hohen Geschwindigkeiten, was für mich eine gute Grundlage für den Radrennsport war. Ich habe auch noch bis ich 15 Jahre alt war vier Sportarten gleichzeitig betrieben und bin erst als Teenager, als ich mich dann endgültig für das Radfahren entschieden hatte, vom Mountainbike auf das Rennrad gewechselt.
Im Radrennsport ist es nicht einfach, in den Profibereich zu kommen. Es gibt sehr viele Fahrer sowie verschiedene Kategorien und Teams…
Jannik Steimle: Genau. Es gibt mehrere Klassen im Semi-Pro und Amateur Bereich, auch die Bundesliga fällt darunter. Vom regionalen Jugendbereich arbeitet man sich hoch und hofft auf einen Platz in einem Continental Team. Das ist die Zwischenstufe, wenn man von der Jugend kommt und in den Profibereich möchte. Wenn man es von dort nicht raus schafft, wird es generell schwer, Radprofi zu werden. Danach kommen die Pro Teams, die sogenannte zweite Liga des Profiradsports, die für bestimmte Rennen und Tourneen eine „Wild Card“ oder Einladung vom Veranstalter brauchen. Erst dann kommen die World Teams, also die bekannten Teams wie Bora-Hansgrohe, Jumbo Visma oder mein Team Soudal Quick-Step, die automatisch bei Rennen wie z.B. der Tour de France starten. Erst ab hier kann man richtig Geld verdienen und seinen Lebensunterhalt als Profi bestreiten.
Wie verlief dann dein Weg zum Profi?
Jannik Steimle: Ich bin von 2016 bis 2019 für zwei Continental Teams gestartet und habe in meinem Premierenjahr direkt mein erstes internationales Radrennen gewonnen. Nachdem ich im Juni 2019 die Oberösterreich-Rundfahrt gewinnen konnte sowie Etappensiege bei der Österreich-Rundfahrt geholt habe, wurde ich für die letzten Monate der Saison 2019 Gastfahrer beim UCI World Team Quick-Step. In diesem Sommer hat sich vom einen auf den anderen Tag meine komplette Karriere gewendet. Ich unterschrieb blind bei einem Management in Belgien, was sich als sehr gute Entscheidung herausstellte, denn kurz darauf hatte ich bereits meinen ersten Vertrag mit einem Profiteam für die Saison 2020. Kurz nach der Unterschrift gewann ich im September 2019 mein bisher bedeutendstes Rennen, die Flandern Meisterschaft.
Kurz darauf hast du eine Diagnose erhalten, die eine Herz-OP nach sich zog. Was war passiert und wie bist du damit umgegangen?
Jannik Steimle: Das war im Januar 2020. Ich hatte am Herz ein Loch, also eine dritte Blutzufuhr, und das erhöht bei hohem Puls das Herzinfarktrisiko. Letztendlich haben sie das Loch nur mit einem Laser geschlossen und es war nicht so ein großes Problem. Dieser Herzfehler kommt häufiger vor, nur wissen das die meisten nicht, weil es auch keine Probleme macht, wenn man kein Profisportler ist. Dadurch, dass es eine Vorsichtmaßnahme war und nur ein kleiner Eingriff, habe ich mir keine großen Sorgen gemacht. Ich war auch kurz danach wieder fit und saß zwei Wochen später wieder auf dem Rad.
Im März 2021 gab es einen schweren Sturz mit mehreren Knochenbrüchen und einer Gehirnerschütterung, im Sommer 2022 folgte dann ein Schlüsselbeinbruch. Wie schafft man es, diese Stürze und Verletzungen abzuschütteln und mit freiem Kopf in die nächsten Rennen zu gehen?
Jannik Steimle: Stürze und Verletzungen sind natürlich Berufsrisiko. Es gibt auch Fahrer, die mit gebrochenen Knochen das Rennen zu Ende fahren, weil man oft auch die Schmerzen unter dem ganzen Adrenalin nicht spürt. Ich habe mir mein rechtes Schlüsselbein gebrochen. Bei Linkskurven ist alles normal, aber bei Rechtskurven fährst du schon ein wenig mit angezogener Handbremse, weil du eben weißt, dass diese Schulter schon mal gebrochen war.
Das heißt man muss immer mental darauf vorbereitet sein, dass man jederzeit stürzen kann?
Jannik Steimle: Ja. Durch die neuen Scheibenbremsen sind die Rennen auch viel schneller und viel gefährlicher geworden. Auch weil immer mehr Zuschauer an der Strecke stehen. Du bist die ganze Zeit unter Spannung und hast das natürlich immer im Hinterkopf. Richtig vorbereiten kann man sich darauf aber nicht. Gerade bei der Tour de France letztes Jahr, der Sturz durch das Plakat einer Zuschauerin, die auf der Strecke stand – solche Fälle kann man nicht planen. Besonders diese überraschenden und unerwarteten Stürze sind oftmals am gefährlichsten, weil weder du noch deine Mitfahrer darauf reagieren können.
Du warst früher auch eine Zeitlang Bahnradfahrer. Bist du deswegen vor allem im Einzelzeitfahren und Sprint so stark?
Jannik Steimle: In den Jahren bevor ich Profi geworden bin, hatte ich das Zeitfahren eigentlich nicht wirklich favorisiert. Ich war zwar immer gut darin, hatte aber nur wenige Einzelzeitfahren mitgenommen. Dann habe ich aber 2019 bei der Polen-Rundfahrt ein Zeitfahren gewonnen – und dies sogar ohne große Vorbereitung und mit falsch eingestelltem Bike. Auch bei Quick-Step und der Slowakei-Rundfahrt habe ich im Zeitfahren gewonnen, weshalb ich meinen Fokus dann doch immer mehr darauf gelegt habe. Gerade bei einwöchigen Rundfahrten, die ich oft und gerne fahre, kann man im Einzelzeitfahren viel rausholen und Sekunden herausfahren, die man dann oft bis zum Ende nicht mehr abgibt.
Ändert sich dann auch die Teamstrategie, wenn mal nicht der Teamkapitän, sondern ein anderer Fahrer bzw. einer der „Edelhelfer“ das Potenzial hat, die Etappe oder Rundfahrt zu gewinnen?
Jannik Steimle: Ja klar, so war das bei der Slowakei-Rundfahrt auch. Dort hat mir ein Fahrer, der eigentlich in einer höheren Kategorie unterwegs ist als ich, zum Sieg geholfen. Aber das ist in unserem Team ganz normal, dass jeder jedem den Sieg gönnt und jeder mal den Edelhelfer spielt. Und da weiß ich auch, dass ein Julian Alaphilippe als Weltmeister genauso für mich gefahren wäre. Das gibt es nicht in jedem Team, dass die großen Fahrer, wenn sie merken, sie können nicht gewinnen, trotzdem für die Mannschaftskameraden alles geben. Das macht das Radfahren und unser Team auch so besonders.
Du hast seit diesem Jahr einen neuen Trainer. Was hat dich zu diesem Trainerwechsel bewegt?
Jannik Steimle: Im Frühjahr lief es bei mir ziemlich bescheiden, weil mein damaliger Trainer ein bisschen mit mir überzogen hat. Ich war Ende Februar schon ziemlich kaputt. Da wusste ich, dass seine Trainingsmethoden für mich und meinen Körper keinen Sinn mehr machen. Ich habe innerhalb des Teams den Trainer gewechselt und bin jetzt bei Franck Alaphilippe, dem Cousin von Julian. Das war anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, da er kaum Englisch spricht. Die Kommunikation über eine Übersetzer-App funktioniert aber inzwischen sehr gut.
Wenn du sagst, du hast innerhalb des Teams den Trainer gewechselt: Wie groß ist so ein World Team? Wie viele Personen sind dort beschäftigt?
Jannik Steimle: Ich glaube, es sind bei uns knapp 100 Angestellte. Wir haben Ernährungsberater, Leute im Büro, die unsere Reisen und Termine planen, mehrere Mechaniker, Physiotherapeuten, viele Helfer, die z.B. nur dabei sind, um Flaschen zu reichen. Dann natürlich die Teammanager, die Trainer und fast 30 Radfahrer.
Wie sieht bei dir das Training aus? Du bist ja nicht immer mit dem Team unterwegs…
Jannik Steimle: Also in private Trainingslager gehe ich eigentlich nie. Ich bleibe lieber hier zuhause in Schorndorf, auch im Winter, wenn viele Fahrer ins Warme flüchten. Hier in der Region gibt es so tolle Strecken und ich weiß, wohin ich fahren kann und wo ich Pausen machen kann. Es tut mir auch für den Kopf gut daheim zu sein. Letztendlich fahre ich immer drei bis fünf Stunden am Tag, das kommt aber auch darauf an, was der Trainingsplan und die Wettkämpfe vorgeben. Auch bin ich dabei flexibel und kann meine Trainingseinheiten entweder an das Wetter anpassen oder so legen, dass ich nachmittags noch etwas mit Kumpels oder mit meiner Freundin unternehmen kann.
Du hast letztes Jahr dein eigenes Radrennen in deiner Heimatstadt Kirchheim unter Teck veranstaltet. Wie ist es dazu gekommen?
Jannik Steimle: Ich wollte schon immer ein Rennen daheim fahren, für die Leute, die sonst keine Möglichkeiten haben, mich mal live in Aktion zu sehen. Früher gab es in Kirchheim das Rennen um den Alleenring mit Radsportgrößen aus der Region. Als ich mit der Idee zum Bürgermeister ging, war der gleich Feuer und Flamme. Er war früher auch im württembergischen Radsportverband und hat mich sofort mit der Umsetzung unterstützt. So haben wir das dann auf die Beine gestellt, quer durch die Fußgängerzone auf Kopfsteinpflaster mit Tribünen und über 7.000 Zuschauern. Das war eine super Veranstaltung. Wir hatten ein Budget von über 40.000 Euro, das wir allein durch Sponsoren finanziert haben. So konnten wir neben mir noch zwei andere Profifahrer an den Start bringen und das Event hat richtig gut eingeschlagen. Das machen wir dieses Jahr auf jeden Fall nochmal.
Was sind Ziele, die du in Zukunft erreichen willst? Gehört da auch die Tour de France dazu?
Jannik Steimle: Natürlich ist die Tour de France das Größte, was man als Radfahrer erreichen kann, aber für mich persönlich haben die Klassiker einen höheren Stellenwert. Ich würde gerne mal die Flandern-Rundfahrt oder Paris-Roubaix gewinnen. Ein Sieg bei einem solchen „Monument des Radsports“ steht für mich persönlich über einem Etappen-Sieg bei der Tour de France, auch weil du immer 100 Prozent geben musst. Bei der Tour kannst du dir mal ein paar schlechte Tage oder mittelmäßige Etappen erlauben, dafür gibt es dann das Team. Aber bei den Klassikern muss man über 260 km den einen Tag voll auf den Punkt da sein. Deshalb ist es auch die Richtung, in die ich mich entwickeln möchte. Natürlich nimmt man die Tour de France gerne mit, aber dort auch wirklich eine Chance zu haben und die kompletten drei Wochen nicht nur hinterherzufahren ist sehr schwer.