Kugelstoßerin Alina Kenzel – Langer Weg zurück nach Post-Covid-Syndrom

Alina Kenzel wurde 2016 Juniorenweltmeisterin im Kugelstoßen, 2018 und 2020 deutsche Meisterin in der Halle und 2019 U23 Europameisterin. Der große Traum von den Olympischen Spielen war zum Greifen nah – doch dann kam Corona. Die Waiblingerin infizierte sich im Trainingslager kurz vor den Spielen in Tokio mit dem Coronavirus. Fast zwei Jahre später leidet die Sportsoldatin immer noch an den Nachwirkungen – Diagnose: Post-COVID-Syndrom. Im Interview berichtet die 25-Jährige von ihrer langen Leidenszeit, den zehrenden Behandlungen, ihrem steinigen Weg zurück zum Profisport sowie der wichtigen Unterstützung durch die Bundeswehr. Text: Lara Auchter

Autor:Ralf Scherlinzky

27. März 2023
Alina Kenzel im Jahr 2020. Foto: KJ Peters
Foto: Iris Drobny
Alina, die letzten zwei Jahre waren sehr schwer für dich. Du hast dich eigentlich für die Olympischen Spiele 2021 qualifiziert, musstest dann aber aufgrund einer COVID-Erkrankung passen. Was ist genau passiert?

Alina Kenzel: Ich hatte im Trainingslager zur Vorbereitung auf Olympia zum ersten Mal Corona. Eigentlich ging es mir gar nicht schlecht, ich hatte keinen schweren Verlauf. Danach habe ich langsam wieder mit dem Training angefangen, habe aber zu spät die Leistungen gebracht die es für Tokio gebraucht hätte. Die Olympia-Norm habe ich wegen der Corona-Nachwirkungen ziemlich spät gestoßen, weil ich einfach nicht rechtzeitig wieder fit war. So wurde ich nur als Ersatz nominiert und durfte nicht mitfahren. Das war natürlich bitter, weil Olympia mein großes Ziel war, das ich eigentlich mit meiner Weite auch erreicht hatte. Aber leider kam mir eben Corona dazwischen…

Hast du Medikamente bekommen, die deine Symptome gelindert haben?

Alina Kenzel: Nur das übliche, hauptsächlich Schmerzmittel. Die haben aber natürlich nur kurzfristig angehalten.

Nach all der Leidenszeit und den ganzen Untersuchungen, was hat dir letztendlich geholfen?

Alina Kenzel: Ich war im Bundeswehrkrankenhaus in Ulm bei einem Pneumologen. Dort wurde ich wirklich mal mehrere Tage komplett durchgecheckt. Letztendlich hat man dann herausgefunden das meine Lunge vernarbt und verklebt war – ein typisches Post-COVID Symptom. Meine Lunge hat kein Volumen mehr reingelassen und sich nicht mehr ausgedehnt, somit verkrampfte meine Atemmuskulatur und ich bekam nicht genügend Luft. Das hat auch erklärt, warum mein Körper einfach schlapp war. Er hat schlichtweg nicht genug Sauerstoff bekommen. Deshalb haben wir eine Therapie mit insgesamt drei Thermoplastie-Sitzungen gemacht, die allesamt unter Vollnarkose durchgeführt wurden. Den dritten Eingriff hatte ich im Dezember 2022, und erst danach ging es mir wirklich besser.

Das Thema Corona hat sich bis jetzt gezogen. Ging das wirklich alles von der ersten Infektion aus?

Alina Kenzel: Ja, das hatte alles seinen Ursprung im März 2021. Dazu war noch eine bis dato unentdeckte Asthma-Erkrankung gekommen. Ich hatte dennoch in der Vorbereitung auf die Winter-Saison echt gute Leistungen im Training gezeigt und mich im Vergleich zu den Jahren zuvor extrem gesteigert. Dann kam ich vom Trainingslager nach Hause und hatte eine Art Grippe mit ein bisschen Fieber – was normalerweise ein bis zwei Wochen dauert, ehe man wieder gesund ist. Aber bei mir waren es dann nicht nur ein paar Wochen, sondern eigentlich ein komplettes Jahr.

Wie ging es weiter?

Alina Kenzel: Ich hatte im Januar 2022 eine Not-OP am Unterleib, danach ging es mir auch wieder stetig besser, aber ich war überhaupt nicht mehr leistungsfähig. Ich habe erstmal Reha-Training gemacht und bis April ging es mir so weit gut. Dann kam plötzlich der Absacker. Ich habe sehr viele verschiedene Symptome gehabt und konnte überhaupt nichts mehr machen, weder Sport noch alltägliche Dinge wie einkaufen oder mit meinem Hund Gassi gehen. Meine komplette linke Gesichtshälfte, sowie meine Gliedmaßen waren komplett taub, ich habe nur noch verschwommen gesehen, hatte den ganzen Tag Schwindel, Übelkeit und Atemnot.

Trotzdem hast du noch weitertrainiert…

Alina Kenzel: Ja natürlich, ich bin Leistungssportlerin und hatte immer noch Ziele, die ich erreichen wollte. Vor allem nach der guten Vorbereitung im Winter. Letztendlich habe ich aber dann im Sommer gemerkt, dass es einfach nicht mehr geht. Wenn ich im Ring stand, wurde mir schwindlig und ich konnte mich nicht mehr auf meinen Beinen halten. Es wurde immer schlimmer und dann habe ich letztlich auch nicht mehr trainiert.

Wie hast du versucht das zu bewältigen? Du warst bestimmt bei vielen Ärzten…

Alina Kenzel: Ich bin tatsächlich von Arzt zu Arzt gezogen, war bei allen Fachleuten, von Neurologie bis Innere Medizin. Dort hat keiner so richtig was gefunden. Da es bei Post-COVID noch kaum Erfahrungswerte gab, war dieses Thema auch nie aufgekommen.

Warst du dann sofort wieder fit oder verlief der Heilungsprozess immer noch schleichend?

Alina Kenzel:

Das ging und geht immer noch schleichend. Logischerweise kann ich nicht erwarten, dass ich, wenn ich ein Jahr lang krank war, innerhalb von ein paar Wochen wieder fit bin. Es geht mir inzwischen deutlich besser, aber noch nicht gut. Ich kann wieder leicht trainieren, bin auf dem Laufband, mache Yoga und sogar leichtes Krafttraining. Aber es ist definitiv nicht wie es vor COVID war und ich muss auch damit rechnen, dass es vielleicht nie mehr so wird wie vorher und die Kopfschmerzen und der Schwindel „normal“ sind.

 

Foto: Iris Drobny
Foto: Iris Drobny
Hast du jemals daran gezweifelt, das es wieder besser wird? Eine Zeit lang konnte dir ja wirklich keiner helfen…

Alina Kenzel: Natürlich hatte ich Zweifel. Ich habe mich oft gefragt, ob ich wieder gesund werde oder jemals wieder Sport treiben kann. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, ob es überhaupt Sinn macht bzw. ob es sich lohnt, wieder mit dem Leistungssport anzufangen. Denn die Gesundheit steht für mich an erster Stelle und es ist egal, ob es ein Knochen oder die Lunge ist, du hast noch was vor im Leben. Da ist es auch egal, ob du Weltrekorde brechen könntest – dafür deine Gesundheit zu riskieren, ist es nicht wert. Wir lieben den Sport, keine Frage, aber wenn du merkst, du wirst nicht mehr gesund und kannst auch deinen Alltag nicht mehr normal verbringen oder eine Familie gründen, dann ist eine Grenze erreicht. Dadurch, dass die Behandlung aber angeschlagen hat, geht es mir inzwischen wieder besser und die positiven Gedanken sind zurück. Ich hoffe, dass ich bald wieder anfangen kann zu stoßen, um dann eventuell gegen Ende des Jahres wieder erste Wettkämpfe zu machen. Das ist aktuell mein großes Ziel, aber ob es tatsächlich so kommt, kann ich nicht versprechen. Langfristiges Ziel ist natürlich die Olympia-Teilnahme 2024.

Du hast das Bundeswehrkrankenhaus erwähnt. Wie ist die Bundeswehr in dieser schweren Zeit zu dir gestanden? Hattest du trotzdem noch die Unterstützung, auch wenn du über ein Jahr ausgefallen bist?

Alina Kenzel: Die Bundeswehr als mein Arbeitgeber stand die ganze Zeit hinter mir. Die Ärzte dort, die komplette sportmedizinische Abteilung… Dadurch, dass ich Kaderathletin bin, haben sie mich intensiv unterstützt und mir auch die Mittel zur Verfügung gestellt, um wieder gesund zu werden. Ich war auch in der Reha und im Training am Stützpunkt Warendorf, und das ist schon ein gewisser Luxus, für den ich der Bundeswehr sehr dankbar bin.