Laura Siegemund – Tennisprofi und Buchautorin

Laura Siegemund galt einst als „die neue Steffi Graf“. Sie gehört seit Jahren zu den besten Spielerinnen der Welt, gewann 2017 den Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart und 2020 die US Open im Doppel, hat einen Bachelor of Science in Psychologie und ist seit 2022 auch Buchautorin. Wir haben uns mit der 34-jährigen Stuttgarterin getroffen und in einer sehr kurzweiligen Gesprächsrunde viel Neues über das Leben einer Profi-Tennisspielerin und die Ups und Downs einer langen Karriere erfahren.

Autor:Lara Auchter

8. Dezember 2022

Laura Siegemund beim gemeinsamen Frühstück mit der SPORT.S-Redaktion.

Fotos: Iris Drobny

Gestern hast du in Instagram noch Videos von Sardinien gepostet, sitzt jetzt mit uns in Stuttgart zusammen und musst heute Nachmittag schon in Frankreich sein, um dort für Paris Boulogne-Billancourt in der Pro-A Liga zu spielen. Wo bist du eigentlich zuhause?
Laura Siegemund: In Stuttgart bin ich tatsächlich nicht allzu oft. Meine zweite Heimat ist Sardinien, denn mein Freund kommt von dort. Meine Trainingsphasen während der Saison mache ich inzwischen auch dort. Die Tennis-Tour ist nun in der Winterpause, aber ich habe mich dieses Jahr entschieden, am Ende der Saison noch einige Matches für meinen französischen Club zu spielen, genauso wie im Sommer in der Bundesliga für Essen Bredeney.

Welchen Stellenwert haben diese Mannschaftswettbewerbe im Gegensatz zur Welttournee?
Laura Siegemund: Die Bundesligen haben im Tennis einen untergeordneten Stellenwert. Letztendlich geht es im Profitennis darum, bei internationalen Turnieren Punkte zu holen und so die Weltrangliste hochzuklettern. Aber in der Bundesliga bekommt man eine festgelegte Vergütung für seine Einsätze und das sind berechenbare Einnahmen, mit denen man sich seine Saison mitfinanziert. Außerdem spielt der Teamaspekt eine große Rolle, da dieser für uns Einzelsportler eine willkommene Abwechslung ist.

Als Tennisspielerin bist du das ganze Jahr auf Reisen. Wenn du morgens aufstehst, weißt du dann noch, wo du bist?
Laura Siegemund: Manchmal ist das tatsächlich schwierig, aber ich mache den Job jetzt seit über 20 Jahren, man gewöhnt sich dran. Man ist sehr viel unterwegs, aber leider nicht, um Urlaub zu machen, sondern sieht meist nur Tennisanlagen und Hotels. Ich bemühe mich, immer Zeit zu finden, auch Land und Leute etwas kennenzulernen.

Wie gehst du damit um, nicht zu wissen, wo du als nächstes sein wirst?
Laura Siegemund: Man muss mental ziemlich flexibel sein. Tennis ist für mich der Inbegriff der Unplanbarkeit. Du trittst bei einem Turnier an, weißt aber nicht, wie viele Tage du dort sein wirst. Es kann sein, du kommst bis ins Finale und bist über eine Woche dort, aber vielleicht verlierst du auch morgen schon und musst deine Koffer gleich wieder packen. Auch erfährt man erst am Abend zuvor, ob bzw. zu welcher Uhrzeit man am nächsten Tag spielt. Damit muss man einfach umgehen können. Viele junge Spieler unterschätzen zu Beginn ihrer Karriere die Belastungen durch das viele Reisen und die Unplanbarkeit.

Was macht den Tennissport so einzigartig?
Laura Siegemund: Tennis ist sehr komplex. Was das Spiel angeht, muss man auf vielen Ebenen top ausgebildet sein: Du brauchst Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer, Explosivität und eine hohe Reaktionsfähigkeit, aber auch eine saubere Technik und gute Spielübersicht. Zusätzlich sind die mentalen Aspekte immens. Auch neben dem Platz gibt es außergewöhnlich viele Herausforderungen zu bewältigen – Reisestress, Jetlag, unterschiedliche Klimazonen in kürzester Zeit… Heute spielst du bei regnerischem, kühlem Wetter in Europa auf Sand und in drei Tagen in der asiatischen Sommerschwüle auf Hardcourt. Man muss schon auf unterschiedlichen Ebenen sehr belastbar sein. Es ist ein ständiges Adaptieren und Anpassen an neue Gegebenheiten, physisch und mental.

Also ist Tennis ein sehr intensiver Sport …
Laura Siegemund: Ja. Das Trainingspensum ist sehr hoch, um die Belastung aushalten zu können. Was die Männer oft leisten bei den Grand Slams, wenn sie bei 35°C ein Fünf-Satz-Match spielen, und das jeden zweiten Tag… Dagegen sind die „Englischen Wochen“ bei so manchen Mannschaftssportarten harmlos. Auch nach einer Verletzung kannst du erst wieder spielen, wenn du wirklich bei 100% bist, sonst hast du keine Chance. Du kannst nicht ein- oder ausgewechselt werden und ein paar Minuten spielen, um neues Vertrauen in deinen Körper zu gewinnen. Das ist mental auch nicht einfach.

Wie war das während der Coronaphase, als keine Spiele stattfinden konnten? Konntet ihr da in irgendeiner Weise trotzdem Einnahmen generieren, durch Ausfall-Versicherungen oder Ähnliches?
Laura Siegemund: Nein, du musstest von dem zehren, was du zurückgelegt hattest. Das ist bei uns in Reha-Phasen ähnlich. Da gibt es keinen Verein oder Verband, der dir, solange du verletzt bist, weiter ein festes Gehalt zahlt, so wie das z.B. beim Fußball oder Basketball der Fall ist. Auf dem Papier sieht im Tennis alles top aus und du kannst viel Geld verdienen, wenn du sehr gut bist. Aber die Ausgaben sind immens hoch und das Risiko ist maximal.

Am Anfang deiner Karriere nannte man dich die „neue Steffi Graf“. Wie bist du damit umgegangen?
Laura Siegemund: Das hat mich als Kind eher gestört, denn dieser Vergleich kam von außen. Ich hatte immer meinen eigenen Kopf und wollte meinen eigenen Weg gehen, nicht als die neue Steffi Graf, sondern als die erste Laura Siegemund. Ich habe auch in unserem Spiel kaum Parallelen gesehen, sie aber trotzdem als Person bewundert – eine Topathletin ohne große Starallüren, die einfach nur ihren Sport machen wollte und immer das Beste aus sich rausgeholt hat. Das habe ich für mich aus diesem Vergleich mitgenommen.

Das hat bestimmt Druck erzeugt, ähnlich erfolgreich sein zu müssen.
Laura Siegemund: Natürlich ist das unterbewusst schon ein Druck für ein 12-jähriges Kind, wenn du ständig in die Zukunft projiziert wirst mit all den Erfolgen, die du erreichen „musst“. Ich habe das aber nie als belastend empfunden. Druck ist ja auch etwas, was du dir erarbeitest. Er ist ein Beleg dafür, dass du gut bist und Leute dir diese Erfolge auch zutrauen. „Pressure is a Privilege“, wie Billie Jean King damals schon sagte – also Druck ist ein Privileg und nur die Besten haben ihn. Trotzdem muss man sich seine eigenen Maßstäbe und Ziele setzen und ausblenden, was die Öffentlichkeit sagt.

Du hast dich mit Anfang 20 für einige Zeit vom Tennis verabschiedet und deine Karriere abgebrochen. Was ist da passiert?
Laura Siegemund: Ich hatte einen Burnout. Mir ging es mental sehr schlecht, sodass ich nicht mehr weiterspielen wollte. Das war eine sehr schwere Entscheidung für mich, weil ich noch nie etwas abgebrochen hatte in meinem Leben und normalerweise eine Kämpferin bin. Zu dem Zeitpunkt hatte ich gerade die Top 200 der Welt geknackt, war auf dem damaligen Höhepunkt meiner Karriere. Das hat mir die Augen geöffnet, denn ich habe mich im erfolgreichsten Moment am schlechtesten gefühlt. Deshalb habe ich den Stecker gezogen und für mich gesagt, dass mir ein gutes und glückliches Leben mit innerer Zufriedenheit wichtiger ist als Tennis.

Hat dich das auch damals dazu bewogen Psychologie zu studieren?
Laura Siegemund: Nicht wirklich. Das Thema Psychologie hatte mich schon immer fasziniert, wie wir manche Dinge wahrnehmen, wie das Gehirn tickt, manchmal sogar Dinge erfindet, um etwas plausibel darzustellen.

Soll es dann auch nach der Karriere in Richtung Psychologie gehen?
Laura Siegemund: Ja, ich würde hier gerne mehr machen. Im Coaching, aber auch im Sinne meiner eigenen Weiterentwicklung. Im Großen und Ganzen ist das ein Bereich, in dem ich viel weitergeben kann, ob an gestandene Sportler oder junge Athleten. Was mich besonders interessiert, ist der Transfer über den Sport hinaus. Psychologie ist allgegenwärtig. Ich beschreibe Tennis oder allein ein Match immer als ein Mikroleben. Da erlebt man so viele Höhen und Tiefen in kürzester Zeit. Das hat man im normalen Leben auch, aber eben in viel längeren Abständen. Im Tennis passiert alles Schlag auf Schlag, was nicht zuletzt ein Grund dafür ist, dass man dort sehr schnell reif und selbständig wird.

Jetzt hast du zu diesem Thema dein Buch „Wild Card“ geschrieben. Wie ist es dazu gekommen?
Laura Siegemund: Ich wollte schon lange ein Fachbuch im Bereich Psychologie schreiben und dabei die ganzen Erfahrungen aus meiner Karriere einbringen. Zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns hat mich Stefan Brunner kontaktiert und gefragt, ob ich mir ein gemeinsames Buchprojekt mit ihm vorstellen könnte. Wir waren unmittelbar auf der gleichen Wellenlänge und hatten inhaltlich dieselbe Vision. Im Austausch mit einer Person, die als Sportwissenschaftler und Mentalcoach einen völlig anderen Blickwinkel auf die Themen hat, habe ich vieles selbst nochmal auf ganz neue Weise reflektiert.

Du bewegst dich langsam auf das Ende deiner Karriere zu. Wenn du zurückblickst, was waren deine schönsten Karrieremomente und wie ordnest du deine Erfolge ein?
Laura Siegemund: Naja, im Doppel habe ich ja noch einiges vor nächstes Jahr! (lacht) Aber wenn ich zurückschaue, war natürlich der Einzelsieg in Stuttgart ein absolutes Highlight meiner Karriere, gefolgt vom Viertelfinale im Einzel bei den French Open und dem Doppel-Sieg bei den US Open 2020. Aber auch der Doppel-Titel im April 2022 in Miami bedeutet mir sehr viel, weil ich gerade von einer weiteren langen Verletzungspause zurück auf die Tour gekommen war. Für mich ist es aber wichtig zu unterscheiden, wer ich bin und was ich erreicht habe. Ich denke für die persönliche Weiterentwicklung ist es entscheidend, die eigenen inneren Werte immer weiter auszubauen und sich nicht nur über das Erreichte zu definieren, denn das repräsentiert uns nur zu einem Teil. Das Spannende ist ja gerade, sich immer wieder neu zu erfinden und neue persönliche Erfolge zu erzielen – auf den unterschiedlichen „Spielfeldern“ des Lebens!

Euer „Wild Card“-Exemplar mit persönlicher Widmung

Kleiner Tipp der SPORT.S-Redaktion: Wenn ihr euer Exemplar von „Wild Card“ für 30€ über Lauras Webseite https://buch.laurasiegemund.com bestellt, erhaltet ihr es mit persönlicher Widmung.