Sprinterin Lilly Kaden – Full Speed in Richtung Olympia 2024

U23-Europameisterin über 100 Meter, U23-Europameisterin in der Staffel über 100 Meter, Deutsche U23-Vizemeisterin und Deutsche U20-Meisterin – diese Erfolge sprechen für sich, wenn man die junge Karriere von Lilly Kaden betrachtet. Was neben den Titeln und Erfolgen noch hinter der für die LG Olympia Dortmund startenden 20-Jährigen aus Winterbach steckt, das hat uns die Journalistik-Studentin hier im SPORT.S-Interview erzählt.

Autor:Lena Staiger

31. Mai 2022

Pure Emotion beim Zieleinlauf: Lilly Kaden (#383)
Fotos: KJ Peters

Lilly, du studierst in Dortmund und trainierst dort inzwischen auch in der Sprintmannschaft. Zuvor hattest du deine Trainingsgruppe beim FC Schalke 04. Wie kam es zu diesem im „Ruhrpott“ eher ungewöhnlichen Wechsel von Schalke nach Dortmund?
Lilly Kaden: Als ich 2019 nach Schalke gekommen bin, war ich im Landes- und Bundeskader, allerdings nicht in der ersten Garde. Mein Plan war es ursprünglich, mit dem Leistungssport aufzuhören und mich voll auf mein Journalistik-Studium in Gelsenkirchen zu konzentrieren. Ich wollte nur noch ein bisschen Sport nebenher machen, aber die Trainingsgruppe dort war dann so toll, dass aus der geplanten Reduzierung nichts wurde (lacht). Als dann mein alter Trainer in Schalke aufgehört hat und es auch keinen Nachfolger gab, kam für mich eigentlich nur der Wechsel nach Dortmund in Frage. Mein jetziger Trainer war schon mein Bundestrainer im Nachwuchsbereich. Wir kannten uns also bereits und ich wusste, dass es gut klappen würde.

Scheinbar war der Wechsel ja nochmal ein großer Schritt nach vorne für dich…
Lilly Kaden: Man könnte sagen, dass ich in Schalke meinen zweiten großen Leistungsschub hatte und es mit dem professionellen Leistungssport dort erst richtig los ging. Das konnte ich aber nicht unter Beweis stellen, da durch Corona in dieser Zeit keine internationalen Wettkämpfe stattfanden. Die großen Erfolge mit den beiden EM-Titeln kamen 2021 nach dem Wechsel zu Dortmund. Da konnte ich dann auch auf den Turnieren zeigen, was ich gelernt habe.

Wie hast du den Einfluss von Corona auf deine Karriere erlebt? Du bist ja kurz vor Beginn der Pandemie von zuhause weg ins Ruhrgebiet gezogen. Das war bestimmt nicht ganz einfach, oder?
Lilly Kaden: Als die Pandemie bei uns ankam, war ich tatsächlich gerade auf Mallorca im Trainingslager. Dort wurde dann der Notstand ausgerufen und wir hatten kurzzeitig Stress, weil bereits zu diesem Zeitpunkt einige Flüge annulliert wurden. Zu Beginn war der Umzug für mich schon ein Kulturschock, das Remstal ist objektiv betrachtet einfach schöner (lacht). Und durch Corona kannte ich auch keine meiner Kommilitonen. Aber mittlerweile habe ich mich gut eingegroovt und konnte durch den Sport und eine Reitbeteiligung schnell Kontakte knüpfen. Außerdem bin ich mit meinem Freund zusammengezogen, weshalb ich auch nie ganz alleine war.

Konzentration vor dem Start…

2021 war ja dann zumindest von den Erfolgen her dein Jahr. Mit welchen Erwartungen bist du in die EM gegangen?
Lilly Kaden: Das würde ich nicht so ganz unterschreiben. Meine Leistungen bei der EM waren natürlich gut, aber sonst war mir das Jahr etwas zu holprig, vor allem in der Hallensaison. Aber ich will mich mit zwei EM-Titeln natürlich auch nicht beschweren. Für mich war das die erste internationale Meisterschaft, und dass ich da mit zwei Goldmedaillen nach Hause fahren würde, hatte ich so nicht erwartet. In der Staffel war es schon eingeplant, dass wir den Titel holen. Im Einzel habe ich bewusst keine Erwartungen und keinen Druck aufgebaut. Mir war klar, dass ich mit meinen aktuellen Zeiten ins Finale laufen kann, aber mehr wollte ich gar nicht wissen.

Wie war der Finallauf für dich?
Lilly Kaden: Alle hatten eigentlich erwartet, dass die Britin Kristal Awuah die Europameisterschaft, wie im vorletzten Jahr auch, gewinnt. Durch das regnerische Wetter mussten wir vor dem Lauf eineinhalb Stunden im Callroom sitzen. Dort habe ich mich viel mit der Belgierin Rani Rosius unterhalten. Wir waren beide die Underdogs und haben uns dann gegenseitig gesagt: „Heute holen wir die Medaillen!“ Die Britin war dann tatsächlich nicht ganz so gut in Form und ich habe meine Stärke, fast bis zum Ende hin beschleunigen zu können, ausgespielt. Rani wurde Zweite.

Wenn man sich das Video vom Finallauf anschaut, sieht man, dass du erst verzögert anfängst zu jubeln. Hast du einen Augenblick gebraucht, um das Ganze zu verarbeiten?
Lilly Kaden: Ich war mir eigentlich direkt nach dem Überqueren der Ziellinie relativ sicher, dass ich gewonnen habe, wollte es aber erst ganz offiziell auf der Anzeigetafel sehen. Normalerweise merkt man im Lauf schon, wo man liegt, aber sobald man jemanden im Augenwinkel sieht, kann man sich nie zu 100% sicher sein, dass diejenige nicht doch noch die Fußspitze vorne hatte.

Gehst du als Favoritin anders in die Wettkämpfe, spürst du mehr Druck?
Lilly Kaden: In Tallin auf der EM habe ich einen perfekten Tag erwischt. Klar hat man jetzt als Europameisterin eine Favoritenrolle, aber das kommt eher von außen. Ich selbst mache mir keinen Druck und lasse auch nichts an mich ran. Das würde mich nur bremsen.

Inzwischen bist du auch schon auf größeren Meetings gelaufen. Wie war dort die Stimmung?
Lilly Kaden: Mein größtes Meeting bisher war definitiv die Diamond League in Brüssel. Sowas erlebt man eventuell auch kein zweites Mal im Einzelstart. Für mich war das wirklich ein großes Ereignis, denn ich bin auch zum ersten Mal vor voller Hütte gelaufen. Im Stadion saßen zwanzig-, dreißigtausend Belgier, das war gerade nach den Erfahrungen ohne Zuschauer während Corona schon ein krasses Erlebnis.

Deine Karriere nimmt ja gerade so richtig Fahrt auf. Wo soll es für dich noch hingehen und was sind deine Ziele?
Lilly Kaden: Meine Ziele stecke ich mir hoch, aber nicht wegen den gewonnenen Titeln, sondern wegen der Laufzeiten, die ich schon erreicht habe. Ich habe gezeigt, dass ich zum Saisonhöhepunkt über mich hinauswachsen kann. Mein großes Ziel ist es, bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris an den Start zu gehen. Ob das klappt, kommt aber auch immer auf die Jahresform an. Aktuell konzentriere ich mich im Hinblick auf die Weltmeisterschaft aber vermehrt auf die 200 Meter, denn da ist die nationale Leistungsdichte und der Konkurrenzkampf um einen Staffelplatz nicht ganz so stark wie bei den 100 Metern.