Stuttgart Rebels – Neues Eishockey-Konzept auf der Waldau
Der Eishockeysport hat in Stuttgart eine bewegte Vergangenheit, die nicht immer von positiven Schlagzeilen geprägt war. Ob EHC, EV, ECS oder die Wizards – irgendwie hatten es die ehemaligen Macher immer wieder fertig gebracht, den attraktiven und schnellen Sport in der Landeshauptstadt finanziell an die Wand zu fahren. 2006, nach der Insolvenz der Stuttgart Wizards Eishockey GmbH, meldete deren Stammverein Stuttgarter EC im Rahmen einer Spielgemeinschaft mit den Amateuren der Bietigheim Steelers wieder eine Aktivenmannschaft zum Spielbetrieb an. Die Kooperation scheiterte und der SEC spielte über Jahre ambitionslos in der Regionalliga. Am sportlichen Tiefpunkt war man angekommen, als man 2018 vor nur noch rund 150 Zuschauern spielte und abgeschlagener Letzter der Regionalliga war. An diesem Zeitpunkt übernahm Christian Ballarin die Führung des Stuttgarter EC. Vier Jahre später, im März 2022, stand dessen erste Mannschaft, die Stuttgart Rebels, vor über 1.000 begeisterten Fans im Regionalliga-Finale und es ist überall zu spüren: In der Eiswelt auf der Waldau herrscht Aufbruchstimmung. Man träumt von Profi-Eishockey und dem Aufstieg in die drittklassige Oberliga. Für uns Anlass genug, der neuen Eishockey-Euphorie in Stuttgart auf den Grund zu gehen und im Gespräch mit Vorstand Christian Ballarin (55) und Trainer Jakob Vostarek (36) zu erkennen: Beim SEC wird mit einem nachhaltigen Konzept gute Arbeit geleistet…
Autor:Ralf Scherlinzky
Sympathischer Auftritt: Das gemeinsame Plakatmotiv von Nachwuchs und erster Mannschaft.
Fotos: Stuttgarter EC
„Als ich 2018 den Vorsitz des Stuttgarter Eishockey-Clubs übernommen habe, steckte der Verein in einer ziemlich schwierigen Situation“, erinnert sich Christian Ballarin. „Wir haben zwei Jahre gebraucht, um vor allem die Finanzen auf vernünftige Beine zu stellen. Das ist uns erst gelungen, als 2020 Philipp Kordowich als Finanzmanager in den Vorstand gekommen ist. Er arbeitet sehr akribisch und kontrolliert sämtliche Ausgaben des Vereins. Unser Coach Jakob Vostarek kann davon ein Lied singen (lacht). Aber genau ein solches Controlling ist extrem wichtig, um den Verein stabil zu führen – vor allem bei der Vorgeschichte, die wir im Stuttgarter Eishockey haben.“
Dass die Insolvenzen der Vergangenheit viel verbrannte Erde hinterlassen haben, muss der rührige Vorsitzende immer wieder in Gesprächen mit potenziellen Sponsoren feststellen. Bekommt er aber erstmal die Chance, das neue SEC-Konzept bei einem Unternehmen vorzustellen, stößt Christian Ballarin dann doch auf offene Ohren.
Eishockey als Event bei den Stuttgart Rebels: Volle Ränge und live vorgetragene Nationalhymne.
Doch was ist in diesem Konzept enthalten, das im Winter die neue Eishockey-Euphorie auf der Waldau ausgelöst hat?
„Natürlich geht es vorrangig um die finanzielle Stabilität mit einem ordentlichen Controlling. Wir geben nur das Geld aus, das wir haben. Das ist der interne Part, der nach außen hin nicht sichtbar ist. Extrem wichtig ist uns der regionale Bezug unserer Sportler“, erklärt der dreifache Familienvater. „Das beginnt schon beim Nachwuchs. Wir haben mit Thomas Schneeberger einen Headcoach, der ständig an Schulen unterwegs ist und Kinder für den Eishockeysport begeistert. Über ihn sind in den letzten Monaten über 40 neue Kinder zur Laufschule gekommen. Sie sind diejenigen, die mittelfristig auch unsere Nachwuchsteams wieder sportlich von der Landes- auf die Bundes-Ebene bringen sollen. Wir haben in Stuttgart ein wahnsinnig großes Potenzial an Nachwuchsspielern.“
Auch beim Aushängeschild, den Stuttgart Rebels als erste Mannschaft, hat der regionale Bezug oberste Priorität, wie Trainer Jakob Vostarek bestätigt: „Unsere Spieler wohnen alle in der Region Stuttgart und arbeiten oder studieren auch hier. Deshalb müssen wir nicht, wie es im Eishockey oft üblich ist, jedes Jahr den halben Kader austauschen. Jeder Spieler, der zu uns kommt, muss sowohl sportlich als auch menschlich sowie von seinem Werdegang her zu uns passen. Wir werden gerade mit Anfragen von Agenten und Spielern bombardiert, die zum Eishockeyspielen nach Stuttgart kommen wollen. Aber diese Spieler passen zu 95 Prozent nicht in unser Konzept.“
Hellhörig werden die beiden Macher der Rebels, wenn ein sportlich interessanter, junger Spieler zum Studieren nach Stuttgart kommen möchte. „Stuttgart ist eine attraktive Landeshauptstadt, wir haben Universitäten und Hochschulen. Damit haben wir anderen Eishockey-Standorten einiges voraus. Wenn ich als junger Spieler mit 20 oder 22 Jahren studieren und weiterhin meinem Sport auf ambitioniertem Level nachgehen möchte, ist Stuttgart in jedem Fall eine sehr gute Wahl“, so Jakob Vostarek, der dabei vor allem in Richtung Schwenningen und Bietigheim-Bissingen schielt. „Dort kommen Jahr für Jahr sehr gute Eishockeyspieler heraus, die es aber nicht in das jeweilige DEL-Team schaffen. Sie wären mit ihrem regionalen Bezug und ihrer guten Eishockey-Ausbildung die idealen Spieler für uns.“
Noch stehen die Rebels sportlich nicht dort, wo sie eine ernsthafte sportliche Alternative für solche ambitionierten Topspieler darstellen können. Deshalb peilt die Vereinsführung den Aufstieg von der viertklassigen Regionalliga – der höchsten Amateurliga – in die semiprofessionelle Oberliga an. „Wenn wir es sportlich und vor allem finanziell hinkriegen, wollen wir schon in der kommenden Saison hoch. Schaffen wir es nicht gleich, dann eben ein Jahr später. Es ist alles ein Können, kein Müssen“, sagt Christian Ballarin.
Trainer Jakob Vostarek
der Vorsitzende als den schwierigsten Schritt an, den man im Eishockey in Deutschland machen kann, denn: „Um in der Oberliga mit bezahlten Spielern bestehen zu können, müssen wir als Aufsteiger unseren Saisonetat verfünffachen.“
Sprich, um den Aufstieg tatsächlich anpeilen zu können, benötigen die Rebels eigentlich schon für die kommende Regionalliga-Saison einen Pool an Sponsoren, die dann im Aufstiegsfall den Weg mit aufgestocktem Budget mitgehen. Für die ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder sicherlich keine einfache, aber eine mit dem regionalen und finanziell verantwortlichen Konzept lösbare Aufgabe.
1. Vorsitzender Christian Ballarin
Die Stuttgarter Fans zumindest sind nach den trüben Eishockey-Jahren wieder „angefixt“. Das Regionalliga-Finalspiel am 11. März 2022 gegen die HEC Eisbären Heilbronn war 28 Stunden nach dem Start des Vorverkaufs restlos ausverkauft. „Wir durften wegen der Corona-Beschränkungen nur 1.080 Leute reinlassen, sonst hätten wir noch ein paar hundert Tickets mehr verkaufen können. Der Run auf die Tickets hat aber in jedem Fall gezeigt, dass die Sehnsucht nach gutem Eishockeysport groß ist. Die nächste Saison wird zeigen, wie nachhaltig die Euphorie ist“, so Jakob Vostarek.