Stuttgarter Kickers – Traditionsverein mit besonderem Spirit

Die Stuttgarter Kickers sind zurück auf Deutschlands Fußball-Landkarte. Nachdem es bundesweit in den letzten Jahren ruhig um die „Blauen“ geworden war und nur noch regionales Interesse am Verein bestand, sorgten der Pokalerfolg gegen Greuther Fürth und das Zweitrundenspiel im DFB-Pokal gegen Europa League-Sieger Eintracht Frankfurt für steigendes Interesse und Berichterstattungen in ganz Deutschland. Auch in der Liga läuft es für den Fünftligisten. Als Tabellenführer der Oberliga Baden-Württemberg starteten die Stuttgarter Kickers mit sechs Punkten Vorsprung in die Rückrunde. Größere Bedeutung als der sportliche Erfolg hat im Vereinsumfeld jedoch die Vermittlung von Werten und der Zusammenhalt mit den Fans. Ein Konzept, das im kommerziellen Profifußball in dieser Form nicht häufig zu finden ist.

Autor:Nils Arnold

8. Dezember 2022

Volle Tribünen im GAZi-Stadion auf der Waldau beim Pokalkracher gegen Eintracht Frankfurt.

Fotos: Stuttgarter Kickers, Markus Schwarz

Es ist Dienstagabend, der 18.10.2022. Das GAZi-Stadion auf der Waldau platzt aus allen Nähten und die Stimmung ist überragend. 10.000 Fußballfans haben den Weg ins Stadion gewählt, um das DFB-Pokalspiel der Stuttgarter Kickers gegen Eintracht Frankfurt zu sehen. Ein Spiel in dieser Größe, gegen einen Europa League-Sieger und Champions League-Teilnehmer, hat es in der ältesten aktiven Spielstätte Deutschlands schon lange nicht mehr gegeben. Beim letzten Zweitrunden-Pokalspiel, einer 0:2-Niederlage gegen Hertha BSC Berlin im Jahr 2006, saß bei den Kickers noch Robin Dutt auf der Trainerbank. Dementsprechend groß ist die Vorfreude auf das Spiel bei der Anhängerschaft der Kickers.

„Wir mussten ein Kontingent an Karten an Frankfurt abgeben. Die restlichen Karten hat man nur als Vereinsmitglied bekommen“, erzählt Matthias Becher, Geschäftsführer der Stuttgarter Kickers. „Wir hätten auch in ein größeres Stadion gehen und ein paar Tausend Tickets mehr verkaufen können, weil wir so viel Anfragen bekommen hatten. Wir wollten das Spiel aber unbedingt in unserem Wohnzimmer, dem GAZi-Stadion auf der Waldau, austragen“, führt er weiter aus. Das 1905 unter dem Namen Kickers-Platz erbaute Stadion fasst eigentlich 11.455 Zuschauer. Aufgrund der Bestimmungen des Deutschen Fußball-Bundes, dass ein Pufferblock zwischen Heim- und Gästefans eingebaut werden muss, sowie Sicherheitsbedenken bei einer Vollauslastung der Stehblocks durften nur 10.000 Tickets verkauft werden.

„Wir haben durch diese Aktion allein 300 neue Mitglieder gewinnen können, die sich durch ihre neue Mitgliedschaft die Chance gesichert haben, das Spiel live im Stadion verfolgen zu können. Nur 15 von ihnen haben danach den Verein wieder verlassen. Das zeigt uns, dass wir die neuen Mitglieder auch nachhaltig begeistern konnten,“ freut sich Matthias Becher.

Nach dem 2:0-Sieg über Bundesliga-Absteiger Greuther Fürth in der ersten Pokalrunde war die Eintracht dann jedoch eine Nummer zu groß und die Kickers mussten sich nach 90 Minuten mit 0:2 geschlagen geben. Doch trotz der Niederlage feierten die Fans noch lange nach dem Spiel ihre Pokalhelden, bevor es zurück in die Oberliga-Realität ging.

Kickers-Geschäftsführer Matthias Becher.

Das mittelfristige Ziel ist bei Vereinsführung und Fans klar definiert. Es soll zurück in die 3. Liga gehen, zurück zu alter Stärke – allerdings ohne dabei die Werte des Vereins und den familiären Zusammenhalt zu verlieren. Der Weg geht in die richtige Richtung. Nach drei Jahren Oberliga, in denen der Aufstieg jeweils knapp verpasst wurde, steht die Mannschaft zum Start ins neue Jahr an der Spitze der Tabelle. Trotz des verpassten Aufstiegs betrachtet der Geschäftsführer die letzte Saison als erfolgreich: „Auf sportlicher Ebene muss man natürlich sagen, dass die letzte Spielzeit eher ein Misserfolg war. Aber Erfolg umfasst bei den Kickers neben dem Ergebnis auch die Entwicklung der Mannschaft und des Vereins, sowie die emotionale Bindung der Fans. Das haben wir auf jeden Fall geschafft, weshalb ich die Saison als Erfolg verbuche.“

Nicht nur sportlich gesehen ist das Erreichen der zweiten Runde im DFB-Pokal ein riesiger Erfolg. Auch finanziell tat die Pokalteilnahme dem Verein gut. Insgesamt 600.000 Euro Prämie erhielten die „Blauen“ für die Teilnahme an der ersten und zweiten Runde. Dazu kommen Ticketeinnahmen und Mitgliedsbeiträge der neuen Mitglieder.

Obwohl die sportliche Situation in den letzten Jahren nicht optimal verlaufen ist, stimmt es im Vereinsumfeld. „Die Atmosphäre ist immer etwas ganz Besonderes. Bei uns hat man noch dieses Fußball-Pur Erlebnis, was in der kommerzialisierten Bundesliga zum Teil verloren geht. Als ich vor zwei Jahren hier hingekommen bin, war ich sehr skeptisch, wenn Leute gesagt haben: Bei den Kickers kann man Fußball noch richtig erleben. Jetzt, da ich länger hier bin, verstehe ich genau, was sie meinen. Man muss das mal erleben“, schwärmt Matthias Becher. Der Verein versucht nach den Interessen der Fans zu handeln und sich, in der Zeit der umstrittenen Fußballweltmeisterschaft in Katar, für gesellschaftliche Werte einzusetzen. „Wir wollen Fußball für alle zugänglich machen, stehen für Integration und Inklusion, wollen keine Gruppen ausschließen, wie es bei der Weltmeisterschaft getan wurde, und für unsere Fans und Supporter nahbar sein. Nach diesen Werten handeln wir“, erläutert der ehemalige Hockeyspieler die Wertvorstellungen des Vereins.

„Fußball pur“ lautet das inoffizielle Motto. „Jeder versteht etwas anderes darunter, das ist das Schöne. Manche verstehen darunter, mit einem Bier in der Hand über den Schiedsrichter zu meckern, andere wollen mit ihrem Enkelkind zusammen ohne Stress ein schönes Fußballspiel angucken und wieder andere möchten ihrem Lieblingsspieler nach dem Spiel die Hand geben und ihr Trikot unterschreiben lassen. All das geht bei den Stuttgarter Kickers“, zählt Matthias Becher die verschiedenen Intentionen der Fans auf.

Im Gegensatz zu vielen anderen Fußballvereinen ist die Fußballabteilung noch im eingetragenen Verein integriert und wurde nicht als Unternehmen ausgegliedert. „Der e.V. passt viel besser zu unserem ganzen Vereinsumfeld, als es eine Stuttgarter Kickers GmbH, tun würde“, findet der 34-Jährige. Eine zukünftige Ausgliederung sollte man jedoch nie ganz ausschließen.
Der Verein lebt von seinen ehrenamtlichen Unterstützern. Der Ticketverkauf und der Einlass werden komplett von Ehrenamtlern abgewickelt. Die Unterstützung der Anhänger auch außerhalb des Platzes zeichnet die Kickers-Familie aus.

Auch die Sponsoren wollen Teil dieser Familie sein und bleiben. Hauptsponsor MHP kam in der dritten Liga zum Verein, mit dem Ziel, zukünftig einen Zweitligisten zu unterstützen. Sieben Jahre später sind die „Blauen“ Fünftligist und MHP ist immer noch Hauptsponsor. Auch Porsche verlängerte die Zusammenarbeit jüngst um drei Jahre. „Das zeigt, dass auch unsere Partner den besonderen Kickers-Spirit schätzen“, so Matthias Becher.

Neben der Fußballabteilung umfasst der Sportverein Kickers Stuttgart die Abteilungen Tischtennis, Handball, Leichtathletik sowie Schiedsrichter. Vor allem die neue Schiedsrichter-Abteilung ist dem Verein ein großes Anliegen. „Uns ist es sehr wichtig Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen auf das Amt des Schiedsrichters aufmerksam zu machen und neue Schiedsrichter für dieses Amt zu gewinnen“, heißt es auf der Website der „Blauen“. Bei Interesse an der Schiedsrichtertätigkeit freuen sich die Kickers über E-Mails an schiedsrichter@stuttgarter-kickers.de.