Synchron-Eiskunstlauf – United Angels trainieren für die WM-Quali

16 Eiskunstläuferinnen schweben in absoluter Synchronität über die Eisfläche. Jede Bewegung, jede Pirouette, jede Hebefigur sitzt. Muss sitzen, denn sonst würden die eng nebeneinander laufenden Sportlerinnen reihenweise zu Boden gehen und die ganze Choreografie wäre dahin – ein Szenario, das bei den United Angels höchst unwahrscheinlich ist, denn die Stuttgarter Gruppe gehört zum Besten, was Deutschland in dieser weitgehend unbekannten und gleichsam faszinierenden Sportart zu bieten hat. Worauf kommt es beim Synchron-Eiskunstlauf an und was macht das Stuttgarter Team so besonders? Dies haben wir Christina Calmbacher, Trainerin der United Angels und selbst ehemaliges Teammitglied, und Co-Trainer Jan Hüber im Interview gefragt.

Autor:Lara Auchter

8. Dezember 2022

Fotos: Skatesynchrophoto

Bisher wussten vermutlich die wenigsten unserer Leser, dass es Synchron-Eiskunstlauf als Sportart gibt. Erklärt mal, was das Besondere an dieser Disziplin ist.
Christina Calmbacher: Ich denke, was den Synchron-Eiskunstlauf ausmacht, ist die technische Herausforderung. Er vereint die läuferischen Fähigkeiten, die man mitbringen muss, mit dem Teamsport. Wir haben eine gemeinsame Leidenschaft, reisen und trainieren immer zusammen – das verbindet die Gruppe total. Man kann sich gegenseitig motivieren und muss sich auf dem Eis blind aufeinander verlassen können. Das ist etwas komplett anderes, als wenn du beim Eiskunstlauf allein auf dem Eis stehst und deine Kür laufen musst. Ich denke, das macht den Reiz unseres Sports aus.

Wie kommt man zum Synchron-Eiskunstlauf? Seid ihr alle ehemalige Eiskunstläufer?
Jan Hübner: Ursprünglich fängt man im Kindesalter mit dem Eislaufen an. Dort lernt man die wichtigsten Schritte und Elemente und versucht sich Schritt für Schritt im Einzellaufen. Das Problem dabei ist, dass die Leistungsdichte sehr eng ist, was bedeutet, man muss in sehr kurzer Zeit sehr viel können und sehr gut sein. Für viele Kinder ist das dann zu viel und sie hören auf. Trotzdem macht ihnen das Eislaufen noch Spaß. Deshalb wechseln dann eben viele zum Paarlauf oder zu uns in den Synchron-Eiskunstlauf.
Christina Calmbacher: Da Stuttgart auch ein Leistungszentrum für Eiskunstlauf ist, bringen viele Einzelläufer eine gute Qualität und Technik mit, wenn sie dann bei uns einsteigen. Trotzdem werden beim

Synchroneiskunstlauf nochmal andere Fähigkeiten gefordert, die man als Einzelsportler nicht hat, wie z.B. dieser Rundum-Blick oder in der Linie bleiben zu können, wenn man gemeinsam läuft. Wie lange dauert es, bis ein guter Läufer diese Fähigkeiten erlernt und im Team mitlaufen kann?
Christina Calmbacher: Ein Jahr muss man auch mit guten Grundlagen noch zusätzlich üben, einfach um die neuen Elemente und Fähigkeiten, wie Wahrnehmung und Orientierung auf dem Eis sowie ein allgemeines Verständnis für das Synchronlaufen mit 15 weiteren Eiskünstlern, gut und sicher zu beherrschen.

Kommt man dann sofort ins Team und nimmt an Wettkämpfen teil?
Christina Calmbacher: Das kommt drauf an, wie das Team gerade aufgestellt ist. Wir brauchen immer 16 Sportler auf dem Eis und schauen dann am Anfang der Saison, wen wir zur Verfügung haben. Manche Athleten laufen auch mal eine Saison nur das Kurzprogramm oder nur die Kür. Das hängt auch vom Schwierigkeitsgrad der Übung ab. Generell bleiben aber viele Läufer lange hier, das ist auch immer gut für die Gruppe.

Wenn immer 16 Läufer auf dem Eis stehen müssen, hat vermutlich jeder seine spezifische Rolle. Es sind aber im Training bestimmt nicht immer die gleichen 16 Athleten da. Wie wird das gehandhabt? Muss da jeder jede Rolle beherrschen?
Jan Hübner: Ja, das ist der Spagat, mit dem wir immer wieder umgehen müssen. Wir gehen mit ungefähr 20 Läufern in eine Saison, und da gibt es immer wieder mal Plätze, die doppelt besetzt sind. Wir haben auch Mitglieder von auswärts, und die können zum Teil nicht zu jedem Training kommen. Da braucht man Backups, die die einzelnen Schritte und Positionen in kürzester Zeit lernen müssen.

Wie schaut es bei euch mit den Trainingszeiten aus? Die sind ja in der Eiswelt auf der Waldau begrenzt…
Christina Calmbacher: Wir haben sehr wenige Eiszeiten, wenn man das mit den anderen international startenden Teams vergleicht. Die haben alle deutlich mehr Trainingstage als wir. Aber ich denke, wir nutzen unsere Möglichkeiten effektiv. Das Regelwerk ändert sich ständig, und da kann es sein, dass man in dieser Saison etwas komplett anderes zeigen muss als noch letzte Saison und der Fokus auf ganz anderen Elementen liegt. Da braucht es dann schon ordentlich Trainingszeiten…

In welcher Klasse tretet ihr an? Und wie ist die Konkurrenzsituation in Deutschland?
Jan Hübner: Wir treten in der Kategorie ISU Senior oder Meisterklasse an. Das ist die höchste Klasse, in der auch Weltmeisterschaften und internationale Challenger-Wettbewerbe stattfinden. Im Seniorenbereich gibt es hier aktuell drei Teams: Berlin, Chemnitz und uns. Letzte Saison hat sich Deutschland einen zweiten Startplatz gesichert und somit dürfen jetzt zwei deutsche Teams zur WM fahren. Für die WM-Nominierung werden die Punktzahlen, die man bei internationalen Wettkämpfen erreicht, mit der Gesamtplatzierung bei den deutschen Meisterschaften zusammengezählt. Um diese Punkte zu erreichen, versuchen wir alles, um über uns hinauszuwachsen.
Christina Calmbacher: Unabhängig davon möchten wir auch dieses Jahr die Bundeskadernorm mit einer guten Punktzahl bestätigen. Denn seit letzter Saison haben wir durch international gute Leistungen den Bundeskaderstatus erreicht. Die finanzielle Unterstützung ist jedoch trotzdem sehr gering. Bei der Randsportart Synchron-Eiskunstlauf tragen die Sportler die Kosten größtenteils selbst.

Wie finanziert ihr euch, wenn es kaum Fördergelder gibt?
Jan Hübner: Wir haben einen Monatsbeitrag, den jeder Sportler bezahlen muss, dann kommen noch die Kosten für die beiden Kleider dazu, die jedes Jahr anstehen, sowie natürlich Reise- und Unterkunftskosten für die Wettbewerbe. Und auch wenn wir ein Trainingscamp machen, muss sich der Sportler selbst beteiligen, gerade bei Reisekosten und Kosten fürs Eis. Es ist schon so, dass auch aus der Teamkasse Kosten getragen werden, aber größtenteils wird diese durch die Sportler selbst gefüllt. Um bekannter zu werden, laufen wir bei Shows und in den Drittelpausen von Eishockeyspielen, wie zuletzt in Esslingen und Heilbronn. Das dient der Wettbewerbssimulation und die Hoffnung besteht, dass wir neue Förderer und Fans auf uns und unseren Sport aufmerksam machen.
Christina Calmbacher: Über unseren Förderverein bieten wir auf unserer Webseite www.united-angels.de auch Sponsoring-Möglichkeiten an. Wir freuen uns hier über jede Unterstützung aus der regionalen Wirtschaft.