Weitspringer Fabian Heinle – Comeback mit dem sechsten Meistertitel

Seit 2015 ist Fabian Heinle der deutsche Weitspringer, an dem es vorbeizukommen gilt, wenn man nach einem nationalen Titel greifen möchte. Fünf nationale Meistertitel hatte der U23-Europameister von 2015, Vize-Europameister von 2018 und zweimalige Olympia-Teilnehmer bereits gesammelt – jetzt kam Anfang 2022 ein sechster dazu: Fabian wurde für viele überraschend Deutscher Hallenmeister. Dabei hatte der 28-Jährige eine Sondergenehmigung benötigt, um überhaupt starten zu dürfen, hatte er doch seit den Olympischen Spielen keinen Wettkampf mehr bestritten – unter anderem, um einige Blessuren auszukurieren, aber hauptsächlich, weil es im Herbst 2021 Nachwuchs im Hause Heinle gab. Wir haben uns mit dem Athleten des VfB Stuttgart zum „Redaktionsspaziergang“ um die Mercedes-Benz-Arena getroffen und haben einen Sportler kennengelernt, der über den Tellerrand des Sports hinausblickt, eine eigene Meinung hat und diese auch vertritt, selbst wenn sie nicht unbedingt zu seinem Vorteil ist.

Autor:Stefanie Hägele

31. Mai 2022

Fabian Heinle beim kraftvollen Anlauf in Richtung Weitsprunggrube

Foto: KJ Peters

Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Meistertitel. Wie war es für dich, an der Meisterschaft wieder ganz oben auf dem Podest zu stehen? Du hast ja in deinem letzten Sprung Oliver Koletzko noch um zwei Zentimeter übertroffen und ihn vom „Thron“ gestoßen.
Fabian Heinle: Dankeschön. Ja es hat zum Glück gereicht, aber es wäre natürlich auch schön gewesen, wäre das Ergebnis nicht so knapp ausgefallen. Ich hatte nicht die optimalen Vorbereitungen und an dem Tag lief es auch nicht ganz so gut. In den Trainings hatte das viel besser geklappt und ich hätte diese Leistung gerne auch im Wettkampf abgerufen. Ich konnte aber auf jeden Fall wichtige Sachen von der DM mitnehmen und werde weiterhin an meinen technischen Fehlern arbeiten.

Wie weit sind die Jungs aus der nächsten Generation, wie Oliver Koletzko, Simon Batz und Nick Schmahl, noch von dir weg?
Fabian Heinle: Der Abstand zwischen uns ist nicht mehr allzu groß, Olli hat gut aufgeholt und hatte mit 7,98 m eine bessere Jahresbestleistung als ich. Bei den Wettkämpfen merkt man vielleicht noch ein bisschen die fehlende Routine. Es war nicht das erste Mal, dass ich im sechsten Versuch noch kontern konnte. Von daher muss es sich einfach zeigen, wie sie sich weiterentwickeln. Es ist schön, dass junge Sportler heranwachsen, die eine Chance haben, uns „ältere“ zu schlagen. Wir hatten jetzt schon sieben oder acht Jahre keine jüngeren Jahrgänge mehr, die sich auf die Dauer oben etablieren konnten. Im Training merke ich es unterschwellig auch. Man hat es schon im Hinterkopf, dass da was von hinten kommt, und gibt dadurch noch ein bisschen mehr Gas.

Fabian Heinle im Portrait

Foto: BeLa Sportfoto

Du hast bei den Olympischen Spielen in Tokio den Sprung ins Finale geschafft. Am nächsten Morgen bist du dann mit Schmerzen aufgewacht und konntest nicht so springen, wie du es dir vorgenommen hattest. Was ist da passiert?
Fabian Heinle: Da ich im Training nicht viele Sprünge hatte, hatte ich das ganze Jahr schon das Problem, dass mir mein Adduktorenmuskel zugegangen ist, wenn ich eine Technikeinheit gemacht habe. Dabei zieht sich an der Hüfte alles zusammen und ich kann nicht mehr richtig beim Sprint durchdrücken. Ich habe dann auch das Gefühl, wenn ich mit meinem Schwungbein zu arg ziehe, dass es mir abreißt. Das Problem ist mir schon länger bekannt, daran arbeite ich auch mit einem Neuroathletiktrainer. Blöd ist es halt, wenn es ausgerechnet vor einem solchen Höhepunkt auftritt. Aber das passiert, wenn man unbedingt mit der „Brechstange“ alles aus sich rausholen möchte.

Hast du das Ganze dann so nach dem Motto „abhaken und weitermachen für die nächsten Spiele 2024 in Paris“ abgeschlossen?
Fabian Heinle: Ja, so in der Art. Dieses Jahr habe ich genügend Höhepunkte, um meine Leistung wieder auf Wettkämpfen voll abzurufen. Die Europameisterschaft im August in München ist schon wichtig für mich, mehr als jetzt zum Beispiel die Weltmeisterschaft. Die Stimmung wird dort wieder großartig sein. Es macht einfach tierisch Spaß, vor heimischem Publikum anzutreten, das ist immer genial. Die Stimmung bei internationalen Wettkämpfen ist zwar auch gut, kann aber nicht an die von daheim anknüpfen.

Wie sieht deine Vorbereitung auf München aus?
Fabian Heinle: Die Norm von 8,10 m muss ich auf jeden Fall noch springen. Da müssen wir schauen, ob das mit der Weltmeisterschaft, die vom 15. bis 24. Juli stattfindet, dann auch tatsächlich hinhaut. Wir fliegen schon zwei Wochen davor in die USA zum Trainingscamp. Dann ist in Eugene, Oregon die WM und danach geht’s direkt wieder heim. Das Problem ist, dass man durch die Zeitverschiebung im Jetlag hängt und nicht so viel trainieren kann. Und vom 15. bis 21. August findet dann ja schon die Europameisterschaft in München statt. Das wird glaube ich alles eine große mentale Herausforderung für uns Sportler.

Deine Karriere war ja immer wieder von Verletzungen geprägt…
Fabian Heinle: Oh ja. Ich hatte im Jahr 2014 einen Kreuzbandriss. Insgesamt konnte ich ein Jahr lang an keinen Wettkämpfen teilnehmen, um ihn vollständig auszukurieren. Dann kam nach den Olympischen Spielen in Rio 2016 eine Schambeinentzündung. Ich konnte zwar trainieren, aber richtig effektiv war es auch nicht. Dadurch haben mir eineinhalb Jahre gutes Training gefehlt, und sowas wirft einen dann schon zurück. Als ich wieder mit dem Aufbautraining beginnen konnte, war anfangs auch alles gut, nur hat es mir beim Sprungtraining wieder Probleme gemacht. Ich habe immer das trainiert was ging, aber wenn ich einmal die Trainingsintensität gesteigert habe, lag ich danach wieder zwei Wochen im Bett. Das war wirklich nervig. Danach war es noch häufiger so, dass ich immer mal wieder kleinere Verletzungen hatte und improvisieren musste. Letztes Jahr bin ich von Februar bis Mitte April kaum gesprungen, da ich was am Rücken hatte und mich nicht mehr bücken konnte. In Verletzungen steckt man nicht drin und hofft einfach immer, dass es wieder gut wird.

Foto: KJ Peters

Denkt man bei solchen Verletzungen irgendwann mal ans Aufhören?
Fabian Heinle: Direkt nach der Kreuzbandverletzung sagte mir der erste Arzt, dass es nichts mehr wird – da habe ich schon kurz überlegt. Einen Tag darauf habe ich dann nochmal darüber nachgedacht und mich gefragt, wie man als Arzt so eine dumme Aussage machen kann. Zum Glück bin ich dann durch einen Trainingskollegen zu einem Arzt in der Schweiz gekommen, der selbst zwei Olympiasieger trainiert hat. Der hat mir erstmal meine Krücken weggenommen und meinte zu mir „Die brauchst du nicht, dein Knie ist eh schon kaputt. Lauf mal weiter, damit du nicht so viele Muskeln verlierst“ (lacht). Er hat sich die Röntgenbilder angeschaut und gesagt, dass er mich direkt am nächsten Tag operiert. Ich bin dann nach Hause gefahren, habe mein Zeug gepackt und bin direkt wieder zur Operation nach St. Gallen aufgebrochen. Letztendlich hatte ich Glück, dass er mich direkt operiert hat, denn mein hinteres Kreuzband war auch gerissen. Das hatte man aufgrund von Flüssigkeitseinlagerungen nur nicht gesehen. Er hat mir auch deutlich gesagt, wenn man sechs Wochen gewartet hätte, hätte man es nicht mehr nähen können. Das war schon eine glückliche Sache. Aber von da an gings dann gut voran und ich habe keine Gedanken mehr ans Aufhören verschwendet.

Wie oft in der Woche trainierst du?
Fabian Heinle: Normalerweise habe ich generell einmal am Tag trainiert. Nur samstags war ich zweimal und mittwochs dreimal im Training. Seit der Geburt unseres Kindes trainiere ich nur noch einmal am Tag. Das reicht aber eigentlich auch. Ich merke einfach, dass ich mehr Zeit habe, um zu regenerieren. Zusätzlich mache ich noch Tempoläufe, die ich in Leinfelden absolviere. Da vertraut mir mein Trainer Tamas Kiss, dass alles auch ohne ihn gut läuft.

Was macht dein Trainer Tamas Kiss anders als andere Trainer – bei den Erfolgen, die seine „Schützlinge“ immer feiern?
Fabian Heinle: Er ist sehr familiär und versucht ein enges Verhältnis mit seinen Athleten aufzubauen. Außerdem hat er mit seinem Alter schon einen großen Erfahrungsschatz an Dingen, die funktionieren. Damit ist er jüngeren Trainern deutlich voraus. Er kann sagen, welche Übungen bei allen und welche vielleicht nur bei manchen Personen funktionieren. Deshalb sind auch alle, die bei Tamas trainieren, sehr fit und extrem schnell. Er strahlt vor allem auf Wettkämpfen viel Ruhe aus. Danach erzählt er uns dann immer, dass er total nervös war, aber er lässt es sich überhaupt nicht anmerken. Das ist für uns Athleten sehr gut und das können nicht alle Trainer.

Fabian Heinle beim gemeinsamen Spaziergang mit den SPORT.S-Redakteuren Steffi Hägele und Ralf Scherlinzky

Foto: BeLa Sportfoto

Neben dem Sport studierst du ja auch noch…
Fabian Heinle: Genau. Ich habe in Esslingen Technische Informatik studiert und bin damit seit sechs Monaten fertig. Momentan mache ich meinen Master in Computer-Science an der Universität Stuttgart. Der Masterstudiengang geht eigentlich nur zwei Jahre, aber ich denke ich brauche durch den Sport wieder etwas länger.

Du bist im Herbst 2021 Vater geworden. Wie bekommst du den Spagat zwischen Sport, Familie und Studium gemeistert?
Fabian Heinle: Tatsächlich habe ich mich das gleiche auch immer gefragt, als ich noch nicht Vater war. Aber ich bin überrascht, wie gut das alles funktioniert. Früher war es so, wenn mir etwas wehgetan hat, habe ich daheim die ganze Zeit überlegt, woher es kommt und mich reingefühlt. Mittlerweile komme ich nach Hause, freue mich auf unseren Sohn und der Sport ist nicht mehr ganz so relevant. Davor habe ich nach dem Training auch immer lange gegrübelt. Jetzt nehme ich die Situation so, wie sie eigentlich ist. Zum Beispiel war ich letztens die halbe Nacht wach, weil er gerade Zähne bekommt – und bin am nächsten Tag trotzdem auch mit wenig Schlaf ins Training gegangen. Man merkt, es funktioniert trotzdem, und das kann einem bei einem Wettkampf auch gut helfen. Momentan lerne ich praktisch, dass es auch möglich ist, meine Leistung abzurufen, ohne dass alles so perfekt vorbereitet ist.