Binder Blaubären TSV Flacht: Ein „gallisches Dorf“ in der Bundesliga

Autor:Lara Auchter
Mitten in der ländlichen Idylle Baden-Württembergs sorgt ein Volleyballverein für sportliche Furore: Die Binder Blaubären TSV Flacht haben geschafft, was eigentlich unmöglich ist. Innerhalb von nur drei Jahren katapultierten sich die Damen des Dorfvereins aus dem Weissacher Teilort Flacht (Landkreis Böblingen) von den Niederungen der Bezirksliga (7. Liga) in die 1. Volleyball-Bundesliga – und das mit Mut, einem durchdachten Konzept, ganz viel schwäbischem Fleiß und einer Jahrhundert-Chance in Form einer Wildcard. „Wir sind vermutlich das beste Beispiel für das sprichwörtliche gallische Dorf im Sport“, sagt Manager und Vereinsurgestein Michael Kaiser mit einem Augenzwinkern. Und tatsächlich: Was als ambitioniertes Projekt lange in der Schublade der Volleyball-Abteilung des TSV Flacht schlummerte, ist heute eine reale Erfolgsstory mit Vorbildcharakter.

Künftig blocken die Volleyballerinnen der Binder Blaubären Flacht in der 1. Bundesliga. Fotos: Nils Wüchner (2)
DER PLAN IN DER SCHUBLADE
Dass der kometenhafte Aufstieg der Blaubären kein Zufallsprodukt war, betont Michael Kaiser mehrfach. „Wir hatten seit über zehn Jahren ein fertiges Konzept in der Schublade“, erklärt er. Das Ziel: Hochklassigen, strukturierten und nachhaltigen Volleyballsport in der Region zu etablieren. Mit eigenen A-Trainern, toller Jugendarbeit mit über 30 Teams, Schulkooperationen, einer eigenen Heidelberger Ballschule und anderen Maßnahmen wurde früh der Grundstein gelegt.
Der große Durchbruch kam 2023 durch eine selten vergebene Wildcard für die zweite Volleyball-Bundesliga, für die man sich mit professionellen Unterlagen bewerben konnte. „Diese Chance mussten wir ergreifen, und unser Konzept hat die Bundesliga überzeugt“, weiß der Blaubären-Manager.
Nach zwei Jahren in der 2. Volleyball-Bundesliga ergab sich für den Dorfverein nun sogar die Gelegenheit, ohne eine sportliche Qualifikation den Sprung in das deutsche Volleyball-Oberhaus zu machen. Zu verdanken hatte man dies dem Plan, die 1. Liga auf 12 Mannschaften aufzufüllen. Da die sportlichen Aufsteiger aus Erfurt und Vilsbiburg keinen Lizenzantrag stellten, konnte Flacht nun als Zweitliga-Sechster zusammen mit den Teams aus Hamburg und Borken den Aufstieg wahrnehmen.
Als 2023 die Zusage zur Wildcard gekommen war, war der Verein erstmal – im positiven Sinne – komplett überfordert. „Wir hatten nichts: keine Halle, keine Sponsorenverträge, keinen Kader. Nicht mal ein Trikotdesign“, erinnert sich Michael Kaiser. Also ging man auf gut Glück mit selbst gebastelten Flyern „auf die Straße“, stellte Unternehmen die Vision vor und gewann zahlreiche Unterstützer. So traten die Blaubären in ihrer ersten Zweitliga-Saison nicht als „Kanonenfutter“ auf, sondern sammelten beachtlich viele Punkte – trotz einiger Rückschläge wie Kreuzbandrissen bei Schlüsselspielerinnen.
Jetzt spielt man in der Bundesliga – erstmal sogar ohne sportlich absteigen zu können, was für Planungssicherheit sorgt. Ein seltener Luxus im Sportgeschäft.

Manager Michael Kaiser. Foto: Martin Binder
BREIT AUFGESTELLT STATT EINZELKÄMPFER
Was die Blaubären einzigartig macht, ist nicht nur ihre Geschichte – sondern die Art, wie sie organisiert sind. Statt auf wenige Hauptamtliche zu setzen, arbeiten mehr als 170 Ehrenamtliche über 10.000 Stunden pro Saison für den Spielbetrieb. „Wir haben fünf Leute nur für die Organisation der Heimspieltage und zwei für das Teammanagement – schon das unterscheidet uns von vielen anderen Clubs“, erklärt Michael Kaiser. Hauptamtliche? Fehlanzeige – zumindest fast. Ab August wird mit Manuel Hartmann der erste hauptamtliche Trainer eingestellt, auch um die intensive Jugendarbeit weiter zu stärken.
JUGENDFÖRDERUNG ALS HERZENSSACHE
Schon seit über 30 Jahren ist der TSV Flacht Talentstützpunkt. Einige Eigengewächse haben es bereits bis in die Bundesliga geschafft, in der vergangenen Saison standen bereits fünf Blaubären aus dem eigenen Nachwuchs auf dem Feld. Perspektivisch sollen jedes Jahr neue Talente nachrücken. „Das ist unsere Philosophie. Da steckt Identifikation drin – für Fans, Sponsoren, unsere ganze Region“, so Kaiser.
Teuere Stars? Fehlanzeige. „Bei uns wird niemand reich. Aber wer viermal pro Woche trainiert und durch die Republik reist, macht den Sport nicht nur als Hobby und sollte Wertschätzung spüren.“
Statt auf hauptberufliche Spielerinnen setzt man auf eine Mischung aus jungen Talenten und erfahreneren Akteurinnen aus der Region. Nicht aus Prinzip, sondern aus Überzeugung – und mit Blick auf die ehrenamtlichen Strukturen.
EMOTIONEN, IDENTIFIKATION UND ATMOSPHÄRE
Sport lebt von Emotionen – und die spürt man in Flacht bei jedem Heimspiel. Die Halle mit 433 Plätzen ist regelmäßig sehr gut gefüllt, zuletzt lag die Auslastung bei 91 Prozent. „Beim Pokalspiel gegen den Serienmeister Allianz MTV Stuttgart hätten wir die Halle drei- oder viermal vollmachen können“, schwärmt Michael Kaiser. Perspektivisch denkt man über Eventspiele in größeren Hallen nach. Für den Alltag aber gilt: lieber ein brodelnder Hexenkessel in kleiner Halle als eine halb leere Arena. Und auch bei den Fans kommt der Erfolg gut an: „Wir haben dieses Jahr – darauf bin ich sehr stolz – über 150 Trikots verkauft. Das ist gigantisch und zeigt, wie die Leute sich mit uns identifizieren“, freut sich der Teammanager.
DER FAKTOR MENSCH
Dass all das überhaupt funktioniert, liegt auch an den handelnden Personen. Michael Kaiser selbst bezeichnet sich augenzwinkernd als „verrücktesten Vogel unter lauter verrückten Vögeln“ und bringt damit den Blaubären-Spirit auf den Punkt. Auf dem Papier ist er Teammanager, in der Praxis Allrounder, Netzwerker, Ansprechpartner – und Fan mit Herz. Unterstützt wird er von einem breiten Team – von Sportdirektor Jan Lindenmair über die Leiterin für Öffentlichkeitsarbeit, Jule Baier, bis hin zum für Finanzen, Buchhaltung und Verträge verantwortlichen Vorstand Nico Lautenschlager und dem Finanzchef Jürgen Kaiser.
Trotz des Erfolgs bleibt Demut ein Leitmotiv. Michael Kaiser tritt auf die Euphoriebremse: „Man darf träumen, man darf auch mal spinnen. Aber am Ende des Tages heißt es trotzdem: Ärmel hoch und die fleißigen schwäbischen Schaffer sein. Wir geben nur das aus, was wir auch einnehmen. Das ist nicht überall so im Sport – aber bei uns schon.“

Familiäre Atmosphäre bei der „Blaubärbande“.
MOMENTAN EIN GEHEIMTIPP – ABER NICHT MEHR LANGE
Die Binder Blaubären Flacht sind derzeit noch ein Geheimtipp – aber einer, der sich rasant herumspricht. „Viele wissen gar nicht, dass es uns gibt. Und noch weniger wissen, dass wir geilen, hochklassigen Volleyball spielen“.
Doch genau das ändert sich gerade – Spiel für Spiel und mit jedem einzelnen Magazinbeitrag. Und spätestens beim ersten Heimspiel gegen einen Bundesligarivalen wird klar sein: Dieses gallische Dorf ist gekommen, um zu bleiben.