Anna-Maria Wagner: Olympia-Fahnenträgerin & Buchautorin
Zweifache Judo-Weltmeisterin, Bronzemedaillengewinnerin bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio, deutsche Olympia-Fahnenträgerin 2024 in Paris… Anna-Maria Wagner hat große Erfolge gefeiert, musste aber auch tiefe Täler durchschreiten.
Jetzt ist die Ravensburgerin nach acht Jahren in Köln an den Olympiastützpunkt Stuttgart zurückgekehrt, um sich auf ihre finalen Kämpfe vorzubereiten – denn im Herbst 2025 wird sie ihre Karriere beenden. Dafür hat sie nun gemeinsam mit der Fotografin Lorraine Hoffmann zum Abschluss einen hochwertigen, 355-seitigen Bildband herausgebracht, in dem sie mit emotionalen Aufnahmen auf die vergangenen Jahre zurückblickt.
Wir haben uns mit der 29-Jährigen getroffen, um gemeinsam mit ihr ihre großartige Karriere Revue passieren zu lassen.

Autor:Lara Auchter

Anna-Maria Wagner in Jubelpose – das wird es in dieser Form bald nicht mehr zu sehen geben. Fotos: Lorraine Hoffmann.
Willkommen zurück in Stuttgart, Anna-Maria. Wie kam es, dass es dich nun nach acht Jahren in Köln wieder ins Ländle zurück verschlagen hat?
Anna-Maria Wagner: Mein Freund wohnt in der Nähe von Villingen-Schwenningen und ich bin zu ihm gezogen. Von dort aus kann ich nun regelmäßig nach Stuttgart und Sindelfingen pendeln, um mich unter perfekten Voraussetzungen auf meine letzten Wettkämpfe vorzubereiten.
Das klingt, als sei es dir mit dem Karriereende wirklich ernst. Was steht nun noch an?
Anna-Maria Wagner: In der letzten Juni-Woche findet in Warendorf die Militär-Weltmeisterschaft statt. Ich war zwar jetzt längere Zeit aus dem internationalen Wettkampfgeschehen raus, aber ich gehe mit dem Ehrgeiz dort rein, Gold gewinnen zu wollen. Danach kämpfe ich noch ein paarmal für die TSG Backnang in der Bundesliga, und beim Bundesligafinale im Oktober folgt dann mein „letzter Tanz“ auf der Matte.

Anna-Maria Wagner präsentiert ihre beeindruckende Medaillensammlung der letzten beiden Jahre.
Hast du schon Pläne, wie es danach für dich weitergehen soll?
Anna-Maria Wagner: Zuerst möchte ich mein Hotel- und Tourismusmanagement-Studium vollends beenden, und dann würde ich gerne in ein Hotel oder ein Restaurant gehen, um Einblicke in die Praxis zu bekommen. Ursprünglich wollte ich noch eine Ausbildung als Fachkraft für Gastronomie machen, aber die theoretischen Grundlagen habe ich ja bereits. Mir geht es jetzt darum, das Arbeiten mit dem Gast zu „lernen“ – gerne im Rahmen eines Praktikums. Dadurch, dass ich lange bei der Bundeswehr war, kann ich deren Berufsförderungsdienst in Anspruch nehmen, der es mir ermöglicht, ohne finanziellen Druck meine berufliche Karriere weiter aufzubauen.
Und dann bist du jetzt unter die Buchautorinnen gegangen…
Anna-Maria Wagner: Ja, ich bin total begeistert, was daraus entstanden ist. Die Fotografin Lorraine Hoffmann hat mich seit 2022 durch alle Höhen und Tiefen begleitet. Diese geben wir in dem Bildband wieder. Dazu erklären wir die jeweilige Situation und ich beschreibe, was mir dabei durch den Kopf gegangen ist. Es gibt meinen sehr harten Weg zu den Olympischen Spielen 2024 wieder. Wir möchten damit vor allem Nachwuchssportler dazu motivieren, nicht aufzugeben, wenn gerade nicht alles so läuft, wie es soll.
Dann lass uns an dieser Stelle einen Werbeblock für das Buch einschieben. Wie heißt es, was kostet es und wo bekommt man es?
Anna-Maria Wagner: Das Buch heißt „Am Ende zahlt sich alles aus“, und das trifft so ziemlich den Nagel auf den Kopf. Als wir damit begonnen hatten, war ich noch sehr weit von meiner zweiten Olympia-Teilnahme weg, und am Ende wurde ich für meine harte Arbeit sogar mit der Nominierung als deutsche Fahnenträgerin belohnt. Es ist sehr hochwertig, mir war aber wichtig, dass wir dennoch unter 50 Euro bleiben. Es kostet 41,95 Euro, wobei pro verkauftem Exemplar 10 Euro in einen Fördertopf für die sportpsychologische Betreuung von Nachwuchssportlern gehen. Bestellen kann man es unter www.mybuchdruck.de/anna-maria-wagner
Du hast gerade schon angesprochen, dass du in Paris Olympia-Fahnenträgerin von Team Deutschland warst. Wie kam es dazu?
Anna-Maria Wagner: Der Sportdirektor des Deutschen Judo-Bunds hat ganz nebenbei erwähnt, dass er mich vorgeschlagen hat. Schon darüber habe ich mich riesig gefreut. Als ich dann neben Fußball-Nationalspielerin Alexandra Popp und Dressurreiterin Jessica von Bredow-Werndl nominiert wurde, war das surreal und krass zugleich. Da ich aber eine Fußballerin als „Konkurrentin“ hatte, dachte ich, da habe ich keine Chance. Und dann kam dieser Anruf, dass die Wahl auf mich gefallen ist. Das konnte ich überhaupt nicht fassen, und ich glaube, ich habe erstmal wie ein Schlosshund losgeheult (lacht).
Weißt du, weshalb die Wahl auf dich gefallen ist?
Anna-Maria Wagner: Ja, das habe ich im Nachhinein erfahren. Es gab zwei Abstimmungen – eine öffentliche und eine interne bei den Sportlern. Bei der öffentlichen Abstimmung lag wie erwartet Alex Popp vorne. Ich habe aber gewonnen, weil die Sportler fast einstimmig für mich gevotet hatten – vielleicht aufgrund meiner Geschichte? Das war für mich jedenfalls wie ein Ritterschlag.
Die Wahl war auch absolut verdient. Nimm uns doch mal zurück ins Jahr 2021, wo „deine Geschichte“ erst so richtig entstanden ist.
Anna-Maria Wagner: Na ja, ich hatte bei den Olympischen Spielen in Tokio zwei Bronzemedaillen gewonnen. Als ich nach Hause gekommen bin, saß ich da und dachte: „Und was jetzt?“ Ich hatte von Klein an auf eine Olympia-Medaille hingearbeitet. Nun hatte ich sie und wusste nicht, auf was ich weiter hinarbeiten sollte. Ich bin in eine Post-Olympia-Depression gefallen und habe ein paar Monate gebraucht, bis ich dort wieder rausgekommen bin. Eigentlich war es der Gedanke an die noch fehlende Olympia-Goldmedaille, der mich zum Weitermachen bewegt hat. 2022 begann dann die Quali-Phase für Paris 2024, und ab da war ich wieder im Trott drin.
So reibungslos, wie es der erneute Weltmeistertitel 2024 und die zweite Olympia-Qualifikation vermuten lassen, verlief die Rückkehr aber nicht…
Anna-Maria Wagner: Stimmt. Rückblickend hätte ich mit dem Comeback warten sollen, bis alle Akkus wieder voll geladen waren. So bin ich aber wieder in die Vollen gegangen und habe gleich die ersten beiden Grand Slams gewonnen – nur, um dann wieder komplett in das Loch zurückzufallen. Ich musste zwei Turniere absagen und dann schweren Herzens verletzungsbedingt auch noch die WM 2023. Erst 2024 war ich wieder richtig da – rechtzeitig, um den Grand Slam in Paris sowie meinen zweiten WM-Titel zu gewinnen und mich damit für die Olympischen Spiele zu qualifizieren.
Zum Happy End hat dann nur noch die Goldmedaille gefehlt.
Anna-Maria Wagner: Ja, und leider bin ich mit Platz fünf sogar komplett leer ausgegangen. In dem Moment, als ich den Kampf um Bronze gegen die Chinesin verloren habe, ist schon eine kleine Welt für mich zusammengebrochen. Heute bin ich okay damit. Ich weiß, dass ich an dem Tag alles gegeben und mir nichts vorzuwerfen habe. Meine Rechnung mit den Olympischen Spielen bleibt aber leider offen.

„Am Ende zahlt sich alles aus“: Anna-Maria Wagner nimmt ihre Leser auf 355 Seiten mit in Momente des Triumphs und der Zweifel, intensive Trainingsphasen, emotionale Wettkämpfe und stille Augenblicke des Durchhaltens.

Anna-Maria Wagner bei der Reha nach ihrer Schulterverletzung.
Wie hat bei dir damals eigentlich alles mit dem Judo begonnen und wie hat sich die Karriere entwickelt? Man wird ja nicht direkt als Champion geboren.
Anna-Maria Wagner: Das hat alles mit der Judo AG in der zweiten Klasse begonnen, bei der uns meine spätere Trainerin Christa Hoffmann vom KJC Ravensburg die Grundlagen gezeigt hat. Das hat mich begeistert und meine Eltern haben mich gleich bei dem Verein angemeldet, in dem ich bis heute Mitglied bin. Wir hatten dort dann eine recht coole Trainingsgruppe, mit der wir immer zu den Wettkämpfen gefahren sind. Und irgendwann habe ich festgestellt, dass ich gar nicht so schlecht bin. Ich habe recht schnell den großen Ehrgeiz entwickelt, dass ich im Training alles gebe, um Medaillen zu gewinnen. Diesen Ehrgeiz habe ich heute noch.
Irgendwann musstest du Ravensburg dann aber verlassen, um ganz an die Spitze zu kommen.
Anna-Maria Wagner: Genau. Ich habe in Ravensburg noch die Realschule beendet, bin dann mit 15 ans Internat am Olympiastützpunkt Stuttgart gewechselt und habe dort am Wirtschaftsgymnasium der Cotta-Schule mein Abi gemacht. Da ist parallel dann auch der Einstieg in den Leistungssport gekommen. Als ich das Abi in der Tasche und mein U21-Jahr im Judo beendet hatte, habe ich direkt einen Platz in der Sportfördergruppe der Bundeswehr bekommen und bin, auch auf Anraten des Bundestrainers, nach Köln gezogen.
Gab es einen bestimmten Moment, an dem du realisiert hast, dass du das Zeug hast, um in die Weltspitze vorzudringen?
Anna-Maria Wagner: Der kam eigentlich erst 2019, als ich 22, 23 Jahre alt war. Mein Einstieg bei den Frauen war erstmal ernüchternd. Nachdem ich in meinem letzten U21-Jahr ungeschlagen geblieben war, habe ich bei den Frauen ordentlich auf die Mütze bekommen. Das ging so weit, dass ich sogar öfter mal ans Aufhören gedacht habe. Ende 2018 bin ich dann auf meinen Sportpsychologen Moritz Anderten getroffen, und die Arbeit mit ihm war mein Game Changer. Wir haben gemeinsam Wege gefunden, wie ich mental on point topfit sein kann. Dann kam der Heim-Grand Prix in Düsseldorf im Februar 2019. Ich habe einige richtig gute Leute geschlagen und bin bis ins Finale marschiert. Da ist dann der Groschen gefallen und ich habe gemerkt, wie wertvoll die Sportpsychologie für mich ist. Ich stand in dem Jahr bei fünf Turnieren in Folge im Finale und habe zwei davon gewonnen. 2020 folgte dann die erste Olympia-Qualifikation.
Liebe Anna-Maria, wir wünschen dir für deinen weiteren Weg alles Gute und hoffen, dass du dem Judosport in irgendeiner Form auch weiterhin erhalten bleibst 🙂
Nachtrag: Anna-Maria Wagner holte in ihrer letzten #MissionGold den Titel bei der Militär-Weltmeisterschaft 2025. Herzlichen Glückwunsch zu diesem letzten internationalen Erfolg!