ASV Schorndorf – (Vize-) Meisterstück in der Scharrena

„DM-Finale als Saisonziel 2022/23“ – so lautete die Headline unseres Beitrags über die Bundesliga-Ringer des ASV Schorndorf in der ersten SPORT.S-Ausgabe. Ein Dreivierteljahr später ist klar: Der Finaleinzug war keine Träumerei, denn die „Spartaner“ ließen den Worten Taten folgen. Erst schaltete man im Halbfinale den Serienmeister und Titelverteidiger SV Wacker Burghausen aus, dann fehlten in den beiden Finalkämpfen gegen den ASV Mainz 88 nur Nuancen, um den ganz großen Wurf zu schaffen. Der Weg in die Playoffs war dabei alles andere als einfach. Zwar lieferte man sportlich ab und battelte sich mit Burghausen um Platz eins der Bundesliga Ost, doch dann machte man sich im Dickicht der teils undurchsichtigen Bundesliga-Regeln mit Aufstellungsfehlern selbst das Leben schwer: Im Spätjahr wurden gleich drei Kämpfe am „Grünen Tisch“ verloren gewertet und man musste am Ende gar noch um den Playoff-Einzug bangen. Inzwischen ist sowohl die turbulente Hauptrunde als auch das Finale Geschichte und die Beteiligten konnten die Ereignisse sacken lassen. Ein guter Zeitpunkt für uns, um gemeinsam mit Sedat Sevsay, ASV-Vorstand und Headcoach in Personalunion, sowie dem Aushängeschild des ASV Schorndorf, Sevsays Stiefsohn Jello Krahmer die Saison Revue passieren zu lassen.

Autor:Ralf Scherlinzky

27. März 2023

2.200 Zuschauer haben den
ASV Schorndorf beim Finale in der
Stuttgarter SCHARRena unterstützt.
Fotos: Günter Schmid

Sedat Sevsay (links) und Jello Krahmer mit der Urkunde und dem Pokal des Vizemeisters.

Das Finale liegt jetzt schon über einen Monat zurück. Was überwiegt: die Enttäuschung über den verpassten Meistertitel oder der Stolz auf die erreichte Vizemeisterschaft?

Jello Krahmer: Wir können definitiv auf eine sehr erfolgreiche Saison zurückblicken, die wir mit einem tollen Event beendet haben, das es in dieser Form im deutschen Ringkampfsport schon lange nicht mehr gegeben hat. Aber als Sportler zählt für mich letztendlich der Erfolg auf der Matte. Und wenn du es endlich geschafft hast, das Finale zu erreichen, dann willst du auch gewinnen. Insofern war ich natürlich schon enttäuscht und bin es eigentlich noch.

Sedat Sevsay: Als Trainer überwiegt bei mir auch die Enttäuschung, aber als Vorstand bin ich stolz auf das, was wir für uns, unsere Fans, Sponsoren und Helfer erreicht haben. Letztes Jahr waren wir im Halbfinale, dieses Jahr im Finale – und nächste Saison können wir uns nochmal weiter steigern. Wenn ich mal in der Vereinschronik nachschaue, haben wir 1973/74 auch das Finale verloren, um dann im Jahr darauf die Meisterschaft zu gewinnen. Vielleicht ist das ja ein gutes Omen für die nächste Saison?

Woran hat es letztlich gelegen, dass ihr den ganz großen Wurf verpasst habt? Ihr habt beide Kämpfe gegen Mainz mit 13:14 verloren und es können eigentlich nur Nuancen gewesen sein…

Sedat Sevsay: Über die 20 Einzelkämpfe gesehen ist es ganz schwierig zu sagen, wo wir die entscheidenden Punkte haben liegen lassen. Am Morgen des ersten Finalkampfs hat mir um 8.30 Uhr Benny Sezgin krank abgesagt und wir mussten umdisponieren. Dann haben wir ein paar Kämpfe, in denen wir bei einem 8:0-Sieg drei und bei einem 3:0-Sieg zwei Mannschaftspunkte bekommen hätten, nur 8:1 oder 2:0 gewonnen. Im Rückkampf in Stuttgart konnten wir nicht auf alle ausländischen Ringer zurückgreifen, die wir gerne eingesetzt hätten. Und doch hätte es am Ende gereicht, wenn entweder Shamil Ustaev oder Akhmed Aibuev ihren Kampf gewonnen hätten. Shamil lag bis sieben Sekunden vor dem Ende seines Kampfes vorne und gab dann noch den entscheidenden Punkt ab.

Jello, wie sehr hat es dich gewurmt, dass du im Rückkampf nicht aufgestellt warst. Wenn man draußen sitzt und nicht aktiv mithelfen kann, bekommt man doch sicherlich einen „Herzkasper“…

Jello Krahmer: Aufgrund des Stilartwechsels wurde die 130-Kilo-Klasse im Freistil ausgetragen, während ich im Griechisch-Römischen Stil zuhause bin. Ich hätte mich zwar gerne in den Dienst des Teams gestellt, aber die Aufstellung hat etwas anderes vorgesehen. Natürlich wäre ich bei dem tollen Event gerne selbst auf der Matte gestanden, aber ich habe mich nicht lange damit aufgehalten und versucht, das Team von außen so gut wie möglich zu unterstützen.

Ihr seid für das Finale von der Schorndorfer Grauhalde nach Stuttgart in die SCHARRena umgezogen. Was waren die Gründe dafür?

Sedat Sevsay: Die Grauhalde ist eine normale Turnhalle, die für ein solches Event schlichtweg nicht geschaffen ist. Deshalb hatten wir schon frühzeitig bei der SCHARRena sowie auch bei der EWS Arena in Göppingen angefragt. In Stuttgart konnten wir mehr als doppelt so viele Zuschauer wie in der Grauhalde unterbringen und wir hätten sogar noch wesentlich mehr als die 2.200 Tickets verkaufen können.

Für einen Abend alles von Schorndorf nach Stuttgart zu transportieren, muss ein immenser logistischer Aufwand gewesen sein…

Sedat Sevsay: Absolut. Wir mussten zwei Matten, die ganzen Werbetafeln und noch viel mehr mit dem LKW nach Stuttgart transportieren und haben mit unserem ehrenamtlichen Helferteam schon am Freitagabend mit dem Aufbau des Podests begonnen. Am Samstag ging es um 7 Uhr morgens weiter mit dem Aufbau der Matten, und nach dem Finale haben wir bis in den Sonntag hinein wieder abgebaut. Ab 16 Uhr haben wir uns mit dem gesamten Team und dem Betreuerstab verbarrikadiert, um unsere Aufstellung geheim zu halten. Draußen hatten wir zwei Leute postiert, die sich Notizen dazu gemacht haben, wer alles aus dem Mainzer Mannschaftsbus aussteigt. Das sind so die Spielchen, die im Hintergrund ablaufen, um am Ende die optimale Aufstellung zu haben.

Ringen zählt ja zu den Randsportarten und es ist allgemeinhin bekannt, dass ein Bundesligaverein erst mit der Finalteilnahme auch Geld verdienen kann. War das bei euch genauso?

Sedat Sevsay: Ja. Im Normalfall kommen wir Null auf Null aus der Saison heraus und in diesem Jahr konnten wir die Lücken, die die beiden mageren Corona-Jahre sowie die erhöhten Energiekosten hinterlassen haben, durch das Finale gut schließen. Wir geben generell nicht mehr Geld aus als wir haben und können eigentlich alles um das Team herum mit ehrenamtlichen Helfern abdecken – sei es Organisation, Auf- und Abbau, Marketing oder Social Media.

Und in der nächsten Saison werdet ihr nun wieder angreifen?

Sedat Sevsay: Das haben wir vor. Das Kernteam bleibt weitgehend zusammen. Bei der Besetzung der wenigen offenen Plätze für ausländische Ringer lassen wir uns noch etwas Zeit und schauen uns vor allem bei der U23-Europameisterschaft um. Was uns nächste Saison in die Karten spielt, ist die erneute Anpassung der Regelung für die Handicap-Punkte. Die 28 Punkte für alle zehn Ringer werden auf 27 reduziert, aber für jedes Eigengewächs, das eine Medaille bei Deutschen Meisterschaften geholt hat, bekommt man einen Bonuspunkt. Die nationalen Erfolge von Jello, Florian Levy und Daniel Peil erhöhen unsere Punkte auf 30, was uns in der kommenden Saison bei der Aufstellung wesentlich flexibler macht.

Der bulgarische Freistil-Spezialist Georgi Vangelow war einer der Schorndorfer Punktegaranten in den beiden Finalkämpfen gegen Mainz.

Das 28-Punkte-System der Bundesliga

Um die Nachwuchsarbeit der Bundesligisten zu forcieren, hat der Deutsche Ringer-Bund 2018 das Punktesystem eingeführt. Allen Bundesliga-Athleten wird anhand ihrer sportlichen Erfolge auf Basis der untenstehenden Tabelle ein Punktewert zugewiesen, den sie für die komplette Saison inne haben. Sind sie einmal einer Punktekategorie zugeordnet, behalten sie diese im Dienste dieses Vereins bei, selbst wenn sie zwischenzeitlich internationale Erfolge feiern. Pro Kampftag dürfen die eingesetzten zehn Ringer eines Teams in der Addition den Maximalwert von 28 Punkten nicht überschreiten.

Während Ringer, die aus dem eigenen Nachwuchs stammen, -2 Punkte zählen, „kosten“ deutsche Ringer, die von außerhalb zum Verein stoßen, 1 bis 4 Punkte. Am teuersten sind ausländische Ringer mit 5 bis 8 Punkten.

Kategorie (jeweils letzte 4 Jahre) deutsch ausländisch
Medaille Olympia, WM und EM 4 8
Medaille WM, EM Junioren + U23 3 7
Deutscher Meister 3
Deutscher Meister Junioren, Silber/Bronze DM Männer 2
Bundeskaderathlet Stand 31.12. des Vorjahres 2
Eigengewächs (bis 18 mind. 3 Jahre im Verein) -2
Alle anderen 1 5

 

Jello Krahmer: Olympia 2024 fest im Fokus

Jello, für euch Spitzenringer ist die Bundesliga ja eigentlich nur ein Zubrot mit „Sparringkämpfen unter Wettkampfbedingungen“. Wie geht das Jahr für dich als Ringer weiter?

Jello Krahmer: Direkt nach dem Finale war ich beim Trainingslager in Kroatien. Anfang März folgte ein zweites Camp und Ende des Monats ringe ich beim prestigeträchtigen Thor Masters Turnier in Dänemark. Dann finden Ende April bereits die Europameisterschaften statt. Zwar sind die Nominierungen noch nicht ausgesprochen, aber ich gehe davon aus, dass ich dabei sein werde. Nach der EM gibt es einen Kurzurlaub, bevor mit einem Konditionscamp auf Fuerteventura die zweite Jahreshälfte eingeläutet wird. Danach folgen mehrere Lehrgänge im In- und Ausland, ehe dann im Sommer in Dortmund der Große Preis von Deutschland stattfindet. Höhepunkt der Saison ist im September die Weltmeisterschaft in Belgrad. Und kurz darauf beginnt schon wieder die Bundesliga.

Wie sieht die Konkurrenzsituation in deiner Gewichtsklasse in Deutschland aus?

Jello Krahmer: Nachdem mein Rivale Eduard Popp seine internationale Karriere beendet hat, entscheidet sich die Nominierung im Schwergewicht im Griechisch-Römischen Stil zwischen Franz Richter, der in der Bundesliga für Markneukirchen ringt, und mir. Die letzten Kämpfe gegen ihn konnte ich allesamt für mich entscheiden und ich denke, das wird auch so bleiben. Aber Konkurrenz belebt das Geschäft und treibt einen dazu an, sich immer weiter zu verbessern.

Sprich, du müsstest eigentlich auch im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris die Nase vorne haben.

Jello Krahmer: National denke ich schon, aber ich muss mich natürlich auch erstmal sportlich qualifizieren.

Über welche Wege kannst du dich qualifizieren?

Jello Krahmer: Die erste Chance kommt bei der WM im September, bei der sich die ersten fünf in jeder Gewichtsklasse automatisch für Paris qualifizieren. Sollte es dort nicht klappen, gibt es bei einem kontinentalen Qualifikationsturnier die nächste Chance. Dort qualifizieren sich die ersten beiden. Danach folgt als letzte Chance noch ein Welt-Qualifikationsturnier, bei dem die letzten drei freien Plätze vergeben werden. Pro Land und Gewichtsklasse darf jedoch nur ein Ringer nach Paris fahren. Ich werde in jedem Fall alles dafür tun, um mir meinen Traum von der Olympia-Teilnahme zu erfüllen.