Athleten Deutschland e.V. – Vertretung der deutschen Spitzensportler
Auf den Seiten 6 bis 11 dieser Ausgabe haben wir von Athletinnen und Athleten aus verschiedenen Sportarten erfahren, mit welchen mentalen und finanziellen Widrigkeiten man oft klarkommen muss, wenn man in Deutschland Spitzensport betreibt. Um hier Abhilfe zu schaffen, haben 2017 einige Spitzensportler um den ehemaligen Säbelfechter Max Hartung und Beachvolleyballspielerin Karla Borger den Verein Athleten Deutschland gegründet, der sich für die Interessen von Sportlerinnen und Sportlern einsetzt. In den letzten Wochen wurde Athleten Deutschland richtig „laut“, um im Zuge der Ausgestaltung des neuen Sportfördergesetzes eine Grundsicherung der Kaderathleten zu erreichen.
Wir haben uns mit Athleten Deutschland-Präsidentin Karla Borger in ihrem „Wohnzimmer“ Olympiastützpunkt Stuttgart getroffen, um mehr über den Verein und seine Arbeit zu erfahren. Parallel zu ihrem Ehrenamt spielt die 36-jährige Wahl-Stuttgarterin, die an den Olympischen Spielen 2016 und 2021 teilnahm und ursprünglich aus dem Hallen-Volleyball kommt, Beachvolleyball und ist Hauptfeldwebel bei der Sportfördergruppe Todtnau der Bundeswehr.
Autor:Ralf Scherlinzky
Karla Borger ist Präsidentin des Athleten Deutschland e.V.
Fotos: Iris Drobny
Karla, hol unsere Leserinnen und Leser zum Einstieg doch bitte mal ab: Was genau ist Athleten Deutschland und wie seid ihr aufgestellt?
Karla Borger: Kurz zusammengefasst ist Athleten Deutschland ein Verein, der sich für die Belange und Interessen der deutschen Kaderathleten einsetzt. Wir geben den Athletinnen und Athleten im Sportsystem eine Stimme, schützen ihre Rechte und fördern ihre Perspektive. Dabei stehen wir im Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik, den Spitzensportverbänden, aber auch Förderern, Partnern oder der Wirtschaft. Bis zu unserer Gründung hat so ein Mitspracherecht nahezu gefehlt, Entscheidungen haben andere getroffen, obwohl es eigentlich um uns geht und unsere Bedarfe im Mittelpunkt stehen sollten. Seit 2017 konnten wir das zumindest in einigen Bereichen ändern und engagieren uns weiter für bessere Bedingungen. Eine unserer größten Errungenschaften ist die Einrichtung einer unabhängigen Anlaufstelle bei Gewalt und Missbrauch im Spitzensport. Unser ehrenamtlich arbeitendes Präsidium besteht aus sieben aktiven bzw. ehemaligen Spitzensportlern. Für die tägliche Arbeit ist die Geschäftsstelle in Berlin um die beiden Geschäftsführer Johannes Herber und Maximilian Klein zuständig.
Momentan ist an Athleten Deutschland in den Sozialen Medien kaum ein Vorbeikommen. Es geht vor allem um Existenzängste und eine soziale Absicherung der Athletinnen und Athleten…
Karla Borger: Wir haben in den vergangenen Monaten unsere Frequenz in den sozialen Netzwerken erhöht und unsere gestiegene Reichweite genutzt, um auf diese Unverhältnismäßigkeit aufmerksam zu machen. Das Thema Absicherung beschäftigt uns schon seit Gründung von Athleten Deutschland. Vor allem Athletinnen und Athleten, die nicht in der Sportförderung bei Bundeswehr, Polizei oder Zoll sind, haben oft keinen Auffangschirm, ganz zu schweigen von Rentenansprüchen. Es geht dabei nicht nur um Einzel-, sondern oft auch um Teamsportler. Ein Beispiel: Wir kennen Fälle, in denen Verträge der Sportlerinnen und Sportler mit Saisonende ausgelaufen sind. Ohne Anstellungsverhältnis fehlte auch der Versicherungsschutz. Im Anschluss an die Spielzeit waren sie für ihre Nationalmannschaften im Einsatz – sportartübergreifend ist eine solche Nominierung nach wie vor eine unheimliche Ehre. Aber dann haben sie sich verletzt. Kaum ein Verein verpflichtet verletzte Protagonisten, die wiederum ohne Einkommen unter Druck stehen, schnell wieder zurückzukommen, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Eine gefährliche Ausgangslage, die psychisch und physisch extreme Folgen haben kann. Athletinnen und Athleten sollen für Deutschland Medaillen holen, sind aber nicht versichert? Genauso ist es mit dem Mutterschutz. Während in anderen Branchen Regelungen längst Standard sind, sucht man im Spitzensport vergeblich danach. Wenn eine Sportlerin Mutter wird und sich um ihr Kind kümmert, ist das Risiko hoch, dass sie ohne Training ihren Kaderplatz und somit ihr Einkommen verliert. Das kann und darf nicht sein.
Karla Borger beim Training in ihrem „Wohnzimmer“ Olympiastützpunkt Stuttgart, wo sie seit 16 Jahren trainiert.
Sind dies nun auch die Themen, die im neuen Sportfördergesetz verankert werden?
Karla Borger: Vorweg: Das Spitzensportgesetz stellt eine historische Chance dar, schließlich soll die Spitzensportförderung in Deutschland erstmals gesetzlich verankert werden. Der Gesetzesentwurf hat Potenzial, aber vernachlässigt die Hauptprotagonisten des Spitzensports: uns Athletinnen und Athleten. Wir haben drei zentrale Forderungen an das Gesetz. Erstens: eine angemessene Absicherung, zu der eine monatliche finanzielle Förderung von mindestens 1.700 Euro ebenso gehört wie Mutter- und umfassender Versicherungsschutz sowie Altersvorsorge. Davon sind wir noch ein gutes Stück weit entfernt. Zweitens: Mitsprache in der geplanten unabhängigen Spitzensport-Agentur. Der Entwurf hat bis zuletzt keinen Platz für Athleten Deutschland im Stiftungsrat vorgesehen, dabei sollte man meinen, dass unsere Meinung und vor allem unsere Erfahrung helfen sollte, um den Sport sinnvoll zu stärken. Drittens: Fördergelder an Sportverbände müssen an Standards zum Schutz der Athletinnen und Athleten an ihrem Arbeitsplatz geknüpft werden. Im Sport herrscht ein enormes Abhängigkeitsverhältnis der Aktiven mit Blick auf das Verhältnis zu den Verbänden oder Trainerinnen und Trainern.
Noch ist das Gesetz aber nicht in allen Details verabschiedet…
Karla Borger: Richtig. Das Sportfördergesetz wurde vom Kabinett beschlossen – und zwar genau an dem Tag, an dem das Aus der Ampel-Regierung folgte. Wir verfolgen die Entwicklungen natürlich ganz genau. Aktuell ist es unwahrscheinlich, dass der Entwurf des Sportfördergesetzes vor den Neuwahlen noch eine Mehrheit findet. Selbstverständlich nutzen wir diese Phase für Gespräche mit Politik und Verbänden und werden auch im Wahlkampf unsere Anliegen vortragen.
Auslöser für das Sportfördergesetz war ja nicht zuletzt der Medaillenspiegel der Olympischen Spiele in Paris, in dem sich die Tendenz, dass Deutschland den Anschluss gegenüber anderen Ländern verliert, einmal mehr bestätigt hat. Wie schätzt die Athleten Deutschland-Präsidentin und Sportlerin Karla Borger die Lage im Vergleich mit anderen Nationen ein?
Karla Borger: Der ständige Blick auf den Medaillenspiegel ist viel zu einseitig und zu wenig differenziert. Der Vergleich mit anderen Nationen, die teilweise mehr Athletinnen und Athleten zu Olympia schicken, hinkt. Es gibt Nationen, die nicht nur von der Fläche viel größer sind als Deutschland, ein anderes Sportsystem haben und immer wieder mit dem Thema Doping in Verbindung gebracht werden. Dazu fließen Finaleinzüge, vierte, fünfte oder sechste Plätze, die nicht selten eine Top-Leistung sein können, nicht mit ein. Müsste man den Medaillenspiegel nicht sinnvollerweise über den prozentualen Anteil auf die Anzahl der teilnehmenden Athletinnen und Athleten pro Nation herunterrechnen oder alle von den europäischen Ländern gewonnenen Medaillen mit denen der USA und China vergleichen?
Und da kommt dann unweigerlich wieder das Thema der Entlohnung der Olympioniken auf den Tisch. Ein italienischer Goldmedaillengewinner bekommt ein Preisgeld von über 150.000 Euro, einer aus Hongkong, Singapur oder Taiwan gar umgerechnet über 500.000 Euro. Dagegen überweist die Deutsche Sporthilfe einem Olympiasieger aus Deutschland gerade mal 20.000 Euro.
Karla Borger: Eigentlich können wir froh sein, dass die Sporthilfe überhaupt etwas ausbezahlt, denn das müsste sie nicht machen. Sie ist eine private Institution, die sich durch Spendengelder, Sponsoren und andere Förderer finanziert. In manchen Bundesländern bekommt man für die Teilnahme an den Olympischen Spielen immerhin eine Prämie. Natürlich freuen sich Athletinnen und Athleten über das Geld. Aber wenn man überlegt, dass man zu diesem minimalen Kreis von vielleicht einem Prozent aller Sportlerinnen und Sportler weltweit gehört, die es zu den Spielen schaffen, dann ist das schon verdammt wenig. Ohne, dass ich alles schlechtreden möchte. Wenn jemand in einer Randsportart keinen Platz bei Bundeswehr, Polizei oder Zoll bekommt, können oft nur persönliche Sponsoren über die Runden helfen, damit der Sport überhaupt professionell ausgeübt werden kann. Deshalb ist es einfach so wichtig, dass wir die Grundsicherung bekommen.
Wie kam es 2017 eigentlich zu deinem persönlichen Engagement bei Athleten Deutschland?
Karla Borger: Ich habe mir seit 2008 mein Leben in Stuttgart aufgebaut, nachdem ich hierher gewechselt bin, um für den MTV Stuttgart in der Volleyball-Bundesliga zu spielen. Im Zuge der Zentralisierung des Spitzensports nach den Olympischen Spielen 2016 wollte der Verband mich dazu zwingen, nach Hamburg umzuziehen, damit ich weiterhin für Deutschland spielen darf. Sie hatten mich einfach aus Turnieren gestrichen, weil ich der Aufforderung nicht gefolgt bin. Das war sowohl bei uns im Beachvolleyball als auch bei anderen Sportarten völlig sinnfrei – und einer der Auslöser, weshalb wir 2017 Athleten Deutschland gegründet haben. Als mein Vorgänger Max Hartung dann 2021 aus dem Vorstand ausgeschieden ist, hat er mich gefragt, ob ich mich aufstellen lassen möchte. Für mich war es irgendwie selbstverständlich, dass ich ja sage.