Elisabeth Brandau: Die Macherin auf dem Mountainbike

Olympiateilnehmerin 2021 in Tokio, Silbermedaillengewinnerin bei der Team-Weltmeisterschaft 2018, Dritte der Europameisterschaft 2019, 19-fache Deutsche Meisterin, Siegerin von unzähligen nationalen und internationalen Rennen – Elisabeth Brandau ist ein Musterbeispiel für eine erfolgreiche Spitzensportlerin. Doch der sportliche Erfolg ist nur die eine Seite der 39-jährigen Mountainbikerin. Denn Elisabeth Brandau ist zusätzlich auch noch Handwerksmeisterin, Heilpraktikerin, Unternehmerin, Speakerin und Coach, sowie Ehefrau und dreifache Mutter. Wäre für viele von uns schon ein einziger dieser Jobs eine tagesfüllende Aufgabe, so bringt sie dies alles irgendwie unter einen Hut.

Um zu erfahren, wie sie das macht, haben wir Elisabeth Brandau zuhause in Schönaich besucht und eine authentische, inspirierende Persönlichkeit kennengelernt, deren Tag – man sollte es kaum glauben – auch nur 24 Stunden hat 😉

Autor:Lara Auchter

31. März 2025

Elisabeth Brandau in Aktion. Foto: Gregor Sinn

Elisabeth Brandau empfängt uns samstagmorgens am heimischen Esstisch, überall liegen Spielsachen, die beiden Jungs (10 und 8 Jahre) flitzen durchs Zimmer, die kleine Annabelle (1) möchte zu Mama auf den Arm und Familienhund Toffee fordert seine Streicheleinheiten. „Das ist unser ganz normales Chaos“, lacht sie und erzählt, dass es abends noch in den Urlaub geht. All Inclusive-Urlaub mit Erholfaktor? „Nein, das ist nicht unser Ding“, erklärt die dreifache Mama. „Wir haben vor ein paar Jahren mit den ‚Speedys‘ eine Motocross-Gruppe für Kinder gegründet und mit denen fahren wir jetzt im Wohnmobil zum Trainieren nach Italien.“

Seit sie Anfang Februar bei den Cyclo-Cross-Weltmeisterschaften im französischen Lievin als einzige deutsche Starterin den 18. Platz belegt hat, hat Elisabeth Brandau nicht mehr trainiert: „Durch die WM-Vorbereitung waren zuhause viele Dinge liegengeblieben, die ich erstmal aufarbeiten musste. Tagsüber gehört meine Zeit den Kindern und den Patienten, also konnte ich eigentlich erst abends und nachts arbeiten. Da noch am nächsten Morgen um 5 Uhr aufzustehen und zu trainieren, wäre dann doch zu viel gewesen, weshalb ich aktuell weder einen Trainingsplan noch ein Ziel habe, auf das ich hinarbeite. Momentan liegen die Prioritäten woanders.“

Foto: Max Fuchs

Wie die meisten Sportlerinnen und Sportler aus den vermeintlichen Randsportarten, konnte auch Elisabeth Brandau nie viel Geld zur Seite legen. „Es ging immer alles von der Hand in den Mund oder in den Sport rein und wir sind eigentlich immer auf Null gestanden. Deshalb kann ich jetzt, mit drei Kindern, nicht mehr so weitermachen wie bisher. Ich muss jetzt schauen, dass die Firmen laufen“, sinniert die 39-Jährige.

Als selbstständige Heilpraktikerin betreibt Elisabeth Brandau im Haus eine eigene Praxis, gemeinsam mit Ehemann Marco hat sie in der Garage eine Fahrrad-Reparaturwerkstatt eingerichtet. Nebenan haben ihre Eltern einen Handwerksbetrieb, in dem sie einst ihre Berufsausbildung zur Kälte-Klimaanlagenbaumeisterin absolviert, Weiterbildungen unter anderem zur Gebäudeenergieberaterin und Klimaeffizienzberaterin gemacht hat, ihren Eltern auch heute noch regelmäßig zur Hand geht und gerade nebenbei noch eine Weiterbildung im Bereich Social Media Content Management macht. Sporadisch kommen noch öffentliche Auftritte als Speakerin dazu, aber dafür fehlt momentan meist die Zeit.

Ihre Wettkämpfe auf dem Mountainbike, berichtet die gebürtige Schönaicherin, seien für sie eine Erholung vom Alltag: „Diejenigen, die sich komplett auf den Leistungssport konzentrieren und die ganze Woche trainieren, haben nichts anderes als den Sport und den Wettkampf im Kopf. Bei mir ist es anders. Ich habe unter der Woche gar keine Zeit, um groß darüber nachzudenken, denn ich muss mich um Familie und Business kümmern. Meist reise ich erst am Samstag zu den Wettkämpfen an und fahre am Sonntag mein Rennen. Dabei kann ich für ein paar Stunden aus meiner Welt ausbrechen und habe Zeit für mich – das gibt mir enorm viel Energie. Früher war das natürlich noch anders, als der Leistungssport bei mir im Fokus stand. Aber auch da war ich schon immer eine Exotin unter den anderen Sportlerinnen.“

Als Kind legte Elisabeth Brandau die Grundlagen für ihre starke Physis beim Schwimmen und im Judo. Ihr Einstieg auf zwei Rädern erfolgte dann im Straßenradsport. 2001 holte sie mit 15 Jahren als Quereinsteigerin auf Anhieb den Titel der Deutschen Jugendmeisterin, die beiden Jahre danach wurde sie Deutsche Bergmeisterin bei den Juniorinnen. Der Sprung in die Frauenklasse blieb der talentierten Straßenradfahrerin dann aber verwehrt.

„Ich habe stattdessen meine Ausbildung im Handwerk und meinen Meister gemacht. 2008 habe ich dann hobbymäßig mit dem Mountainbike wieder an Rennen teilgenommen, überraschend gleich die Deutsche Marathon-Meisterschaft gewonnen und dabei die frischgebackene Olympiasiegerin Sabine Spitz geschlagen. Der Bundestrainer wollte gleich meine ganzen Daten sehen, denn es konnte ja nicht sein, dass eine, die die ganze Woche arbeitet, der Olympiasiegerin davon fährt und bessere Werte als sie aufweist. Er meinte, ich solle mich mal mit Olympia 2012 befassen“, erinnert sie sich grinsend.

Elisabeth Brandau setzte nun alles auf die Karte Radsport, hörte auf zu arbeiten und schloss sich für ein Jahr einem Profiteam an. „Ich habe dort aber keinerlei Unterstützung bekommen, um mich sportlich zu verbessern. Deshalb habe ich mich selbst vor die Wahl gestellt, dass ich entweder wieder aufhöre oder mein eigenes Team gründe, bei dem ich alles besser mache. Aufhören wollte ich nicht, also habe ich ein Team aufgebaut. Das lief auch super und ich konnte alle unsere Fahrer verbessern, nur mich selbst nicht – mit der Folge, dass ich die Quali für die Olympischen Spiele 2012 versemmelt habe.“

Auch 2016 fuhr der Olympia-Zug ohne die 19-fache Deutsche Meisterin ab. „Ich war in dem Jahr die zweitbeste Deutsche der Weltrangliste und wir hatten zwei Startplätze. Dennoch wurde ich nicht für Rio nominiert, weil ich 2014 während meiner ersten Schwangerschaft keine Wettkämpfe bestreiten konnte und dann 2015 noch nicht auf dem Leistungslevel von vorher zurück war“, schüttelt sie den Kopf. „Vielleicht spielte es auch eine gewisse Rolle, dass ich immer offen meine Meinung gesagt habe.“
Statt nach Rio zu fahren, wurde Elisabeth Brandau zum zweiten Mal schwanger, stieg danach aber wieder in den Sport ein und nahm „auf eigene Kappe“ und ohne große Sponsoren an Wettkämpfen teil.

2019 fuhr sie regelmäßig bei Weltcups als beste Deutsche in die Top Ten, war in der Form ihres Lebens, und die großen Teams standen Schlange, um sie unter Vertrag zu nehmen. „Da war ich zum ersten Mal richtig überfordert“, gibt sie heute zu. „Ich hatte drei unterschriftsreife Profiverträge auf dem Tisch liegen, wusste aber absolut nicht, wie ich die Erwartungen mit zwei kleinen Kindern erfüllen sollte. Also habe ich keines der Angebote angenommen und bin auf eigene Faust weitergefahren.“

Elisabeth Brandau in ihrer Praxis in Schönaich. Foto: Ralf Scherlinzky

Tokio 2021 – ein Highlight, das nicht unbedingt ein Highlight war. Foto: privat

In dieser Phase erfolgte dann der wohl größte Rückschlag ihrer Karriere. In Führung liegend, hatte sie ihren ersten Weltcup-Sieg vor Augen, als sie einen Zuruf des Bundestrainers falsch interpretierte, eine Runde zu früh am Ziel anhielt und damit den größten Erfolg ihrer Karriere verschenkte. „Danach war ich mental durch. Ich habe zwar versucht, das alles aufzuarbeiten, war aber schlichtweg überfordert von allem. Ich wollte es unbedingt einmal in meinem Leben noch zu Olympia schaffen, und dann passiert mir so etwas. Dass die Olympischen Spiele danach wegen Corona um ein Jahr verschoben wurden, war für meinen angeknacksten mentalen Zustand dann auch nicht unbedingt förderlich, musste ich doch noch ein weiteres Jahr da durch, ohne zu wissen, ob ich mein Ziel erreiche oder nicht“, so Elisabeth Brandau.

2021 war es dann aber soweit. Nachdem sie mit gebrochenem Steißbein die WM gefahren war, um durch ihre Platzierung einen zweiten deutschen Olympia-Startplatz zu sichern, und auch in der Qualifikation beste Deutsche war, führte an der damals 35-Jährigen kein Weg mehr vorbei – sie durfte bei den Olympischen Spielen in Tokio an den Start gehen. Auch wenn sie über das Ergebnis lieber den Mantel des Schweigens hüllen möchte („Durch den Wetterumschwung und den starken Regen war ich einfach nur platt und konnte meine Stärken nicht zur Geltung bringen.“), kann sie sich heute mit Stolz Olympionikin nennen.

Der Rest ihrer Karriere bis heute ist schnell erzählt. Nach den Olympischen Spielen wurde sie als zu alt erachtet und verlor ihren Platz im Nationalkader, 2022 wurde sie zum dritten Mal schwanger.

Doch Elisabeth wäre nicht Elisabeth, hätte sie die Geburt ihrer Tochter als perfektes Ende ihrer „wilden“ Karriere genutzt. „Zurückblickend hätte ich das wahrscheinlich machen sollen“, rollt sie die Augen. „Ich wurde dann aber 2023 als ehemalige Sportlerin – das Wort ‚ehemalig‘ hatte mich hier schon gestört – zu der Veranstaltung ‚One Year to Paris‘ an den Olympiastützpunkt Stuttgart eingeladen. Dort bot mir jemand an, mich zu unterstützen, falls ich nochmal einen Anlauf für die Olympischen Spiele 2024 nehmen möchte. Das hat mich getriggert und ich ging All-in – mit dem ganzen Training und dem Zeitdruck so kurz nach der Geburt des dritten Kindes. Ich musste zusätzlich zum Training mit der Hormonumstellung, dem Risiko der Sportart und der immer wieder verwunderlichen Politik der Nationalmannschaft zurechtkommen. Long story short: Es hat nicht geklappt, und das war auch okay so.“

„Lebensschule Sport“, so lautet das Motto, das Elisabeth Brandau auch im Berufsleben begleitet – sei es bei der Arbeit mit den Patientinnen und Patienten ihrer Heilpraktiker-Praxis oder bei ihren geplanten Impulsvorträgen bei Unternehmen: „Ich habe meine Probleme selbst nie als Probleme gesehen. Auch das, was ich teilweise als Überforderung ansehe, ist notwendig, damit ich mich weiterentwickeln kann. Wenn du dich nicht überforderst, dann kommst du nicht aus deiner Komfortzone raus und weißt nicht, wozu du in der Lage bist. Bin ich jetzt nach der WM mit der Familie, den Unternehmen und den anderen Themen überfordert? Ja, absolut. Aber ich weiß jetzt, was nicht funktioniert und kann es so verändern, dass es künftig für mich passt. Inzwischen kann ich sagen, ich habe das Chaos, das um mich herum herrscht, in ein System gepackt, mit dem ich sehr gut leben kann.“

Ob in diesem System künftig der Radsport noch einen Platz findet, lässt sie offen und ergänzt: „Lust hätte ich eigentlich schon, doch mit der immer risikoreicheren olympischen Disziplin Cross Country habe ich als dreifache Mutter nun abgeschlossen.“