Kim Herkle – Erfolgserlebnisse nach vielen Rückschlägen

Kim Herkle hat eine lange Leidenszeit hinter sich. Seit ihrem Deutschen Meistertitel über 200m Brust im Sommer 2021 überschlugen sich bei der Oeffingerin die Ereignisse – nicht nur durch ihren Umzug an die University of Louisville nach Kentucky (USA), sondern auch durch etliche Krankheiten, Verletzungen und Rückschläge, die sich über eineinhalb Jahre hinzogen. Nach drei vierten Plätzen bei der DM 2022 inmitten einer ihrer schwierigsten Phasen, holte sich die Schwimmerin vom SV Cannstatt bei den Finals 2023 ihren Platz an der Sonne zurück und schwamm zu ihrem zweiten Meistertitel über die 200m Brust. Ihr großes Comebackjahr krönte die 20-Jährige im August mit einer Bronzemedaille bei den U23-Europameisterschaften in Dublin. Wir haben uns mit der Studentin ausführlich ausgetauscht und nicht nur alles über ihre lange Leidenszeit erfahren, sondern haben auch über die aktuelle Saison sowie ihre Ziele und berufliche Zukunft gesprochen.

Fotos: LennArt Photography (1) / University of Louisville

Autor: Lara Auchter

18. September 2023

Glückwunsch zu deiner Bronzemedaille bei den U23-Europameisterschaften. Hattest du mit solch einem Resultat gerechnet?

Kim Herkle: Nein, als ich die Startliste gesehen habe, dachte ich, ich würde nicht mal ins Finale kommen. Bei den 200m Lagen war ich als Neunte angemeldet, bei 200m Brust war ich nicht mal in den Top Ten. Das kam schon aus dem Nichts, dass ich mich als Vierte fürs Finale qualifiziert und dann auch noch eine Medaille geholt habe.

Die letzten Jahre waren nicht einfach für dich. Waren die guten Ergebnisse dieser Saison und die EM-Medaille die Belohnung für die harte Zeit, die du durchmachen musstest?

Kim Herkle: Es ist schön, dass es endlich wieder aufwärts geht und ich auch mehrere Wettkämpfe hintereinander konstante Leistungen bringen kann und über einen längeren Zeitraum mal wieder gut schwimme. Ja, in gewissem Sinn ist es schon eine Belohnung.

Wie waren die ersten Rennen der Saison? Nach langer Ausfallzeit ist es bestimmt schwer, direkt wieder in die Abläufe reinzukommen…

Kim Herkle: Ich bin im März meinen ersten Wettkampf nach über sechs Monaten geschwommen und es war echt schwer für mich, wieder in den Wettkampfablauf reinzukommen. Ich stand wirklich am Startblock und wusste nicht mehr, was ich eigentlich machen sollte. Die ganzen Rennstrategien und jahrelang eingeübten Abläufe waren weg. Das musste ich mir alles wieder erarbeiten.

Wir haben deine lange Leidenszeit gerade schon angesprochen. Was war denn genau los? Da ist ja einiges zusammengekommen…

Kim Herkle: Das ist eine längere Geschichte, die sich über eineinhalb Jahre zieht. Im Sommer 2021 habe ich mein Abitur gemacht und ein Stipendium an der University of Louisville in den USA erhalten. Kurz bevor ich nach Übersee fliegen sollte, bin ich die Deutschen Meisterschaften und auch die Olympiaquali geschwommen, bei denen ich schon starke Knieprobleme hatte. Man hat festgestellt, dass ich Zysten im Knie habe, die operativ entfernt werden mussten. Im November 2021 bekam ich in den USA dann Corona, was mich ziemlich mitgenommen und über einen Monat außer Gefecht gesetzt hat. Dann kam das Seuchenjahr 2022. Schon im Januar fing es an, dass ich alle zwei Wochen krank wurde – Streptokokken. Ich bekam jedes Mal Antibiotika verschrieben, was natürlich bald nicht mehr wirkte, weshalb ich zusätzlich noch Cortison einnehmen musste. Es ist aber so schlimm geworden, dass mein kompletter Hals dick wurde und aussah, als hätte ich einen Tennisball verschluckt. Meine kompletten Lymphknoten waren angeschwollen, ich konnte meinen Kopf nicht richtig drehen und bekam kaum Luft. Man hat einen Abszess entdeckt, der im März operativ entfernt wurde. Mir ging es danach aber nur kurze Zeit besser. Ich bekam trotzdem wieder Streptokokken, weshalb im Mai dann auch noch meine Mandeln entfernt wurden. Ein paar Monate später, nach einer guten Saisonvorbereitung, erlitt ich dann Ermüdungsbrüche in beiden Oberschenkelknochen. Diese wurden vermutlich durch die Cortison-Einnahme beeinflusst, weil Cortison eben das Calcium in den Knochen abbaut, weshalb sie nicht mehr so stabil waren wie normal. Ich saß dann wegen der Ermüdungsbrüche auch zwei Monate im Rollstuhl und habe erst im Dezember 2022 wieder angefangen richtig zu trainieren.

Wie kann man sich Ermüdungsbrüche vorstellen? Gibt es da Risse im Knochen?

Kim Herkle: Ja, das sind viele Haarrisse, die sich durch die Mitte meines Oberschenkelknochens durchgezogen haben. Das hat man auf dem MRT sehr gut gesehen. Die Situation war auch ziemlich blöd, da der College-Campus und auch meine Wohnung nicht unbedingt behindertengerecht sind. Das war dann schon ziemlich umständlich und ich habe mit dem Rollstuhl immer Hilfe gebraucht.

Für eine Leistungssportlerin ist die Bewegungsunfähigkeit vermutlich extrem schlimm…

Kim Herkle: Ja, das war richtig heftig für mich. Mir ging es auch mental nicht gut, ich wollte mich einfach nur in meinem Zimmer verkriechen und nichts tun. Im Wasser ging es mir zwar besser, da ich dort nicht Laufen musste, ich konnte aber trotzdem keine intensiven Übungen machen und bin eigentlich nur im Wasser getrieben.

Wie geht man danach zurück ins Training? Dein Körper muss ja ziemlich abgebaut haben …

Kim Herkle: Ich war die ganze Zeit über regelmäßig im Wasser, nur eben nicht so intensiv wie sonst. Deswegen hatte mein Körper in diesen beiden Monaten schon etwas Bewegung. Und auch mit dem Rollstuhl war ich im Gym und habe Armübungen gemacht. Es hat aber ewig gedauert, bis ich wieder Abstöße machen und meine Beine wirklich stark einsetzen konnte. Kraulen und Rückenschwimmen hat sehr gut funktioniert, aber Brustschwimmen ging lange Zeit gar nicht. Ich brauchte viel Geduld und habe die Belastung dann von Training zu Training wieder langsam erhöht.

Durch deine Verletzungen darfst du nun ein Jahr länger, also fünf anstatt vier Jahre, zum Schwimmen und Studieren an der Uni bleiben. Was studierst du und in welche berufliche Richtung soll es bei dir mal gehen?

Kim Herkle: Ich studiere Psychologie und hatte nun dadurch, dass ich ein fünftes Jahr dazubekommen habe, die Möglichkeit, zusätzlich noch den Studiengang Neurowissenschaften aufzunehmen. Ich will auf jeden Fall in die Therapie gehen, also in die klinische Psychologie. Es könnte aber auch in Richtung Gehirnforschung und neurowissenschaftliche Studien gehen, da ich dieses Gebiet sehr interessant finde.

Jetzt bist du wieder zurück und kannst im Becken angreifen. Was sind deine Ziele?

Kim Herkle: Olympia war natürlich immer ein Ziel von mir, aber die Normen wurden erhöht, was es für mich sehr schwer macht. Ich war 2021 knapp über der Norm von 2:24,9 Minuten und habe es damals noch nicht geschafft, auch weil Deutschland nicht automatisch die zwei Erstplatzierten mitnehmen konnte. Und für nächstes Jahr liegt die Norm bei 2:23,6 Minuten. Das heißt, ich müsste über eine Sekunde schneller als der deutsche Rekord schwimmen und zwei Sekunden schneller als meine persönliche Bestleistung von 2:25,4 Minuten, was ich aktuell als ziemlich unrealistisch betrachte. Aber das wird natürlich immer mein Traum bleiben und ein Ziel, auf das ich hinarbeiten werde.

Wann ging es bei dir los mit dem Leistungsschwimmen und wann hat man realisiert, dass du besser bist als andere und eine Profikarriere anstreben könntest?

Kim Herkle: Ich habe sehr früh mit dem Schwimmen angefangen und hatte auch mit fünf Jahren schon meinen ersten Wettkampf. Mit 13 habe ich begonnen, in Stuttgart mit einer Leistungsgruppe zu trainieren, und da hat es dann auch mit richtigem Leistungsschwimmen in den verschiedenen Alters- und Kaderklassen angefangen.