Leistungssport mit Handicap – Gesprächsrunde mit Sportler:innen

Die Spitzensportler Jana Spegel, Milan Hosseini, Laura Raquel Müller, Rosina Schneider und Melanie Böhm erzählen über psychischen und finanziellen Druck im Leistungssport.

Wie schaut der Start in den Sport für Menschen mit Handicap aus? Welche Hindernisse müssen überwunden werden und was braucht es, um sportlich erfolgreich sein zu können? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, haben wir gemeinsam mit unserem Gesundheitspartner AOK Stuttgart-Böblingen Sportlerinnen und Sportler eingeladen, die ein weites Spektrum an Handicaps abdecken. Beim Treffen in der großen Runde Anfang März bei unserem neuen SPORT.S-Partner BMW Niederlassung Stuttgart haben Max Skrzypek (20, Diabetes, BMX-Racing), Paralympics-Siegerin Maike Hausberger (30, linksseitige Hemiparese, Radsport), Tamara Röske (29, Down-Syndrom, Leichtathletik + Schwimmen), Caroline Scheffler (21, chronische Gefäßerkrankung, Schwimmen) und Bera Wierhake (24, lebertransplantiert, Leichtathletik) sowie Natja Stockhause (Leichtathletik-Trainerin des Vereins 46 PLUS Down-Syndrom Stuttgart), Tamaras Mutter Antje Röske, Barbara List (Stellvertretende Geschäftsführerin Württembergischer Behinderten- und Rehasportverband) und Michael Leßke (Orthopädietechniker bei ORTEMA) über das Thema Sport mit Handicap diskutiert. Einen kleinen Auszug aus der dreistündigen Gesprächsrunde geben wir auf den folgenden Seiten wieder. Fotos: Iris Drobny

Autor:Lara Auchter

31. März 2025
Max Skrzypek

BMX-Racer mit Diabetes

„Sport kann dabei helfen, den Blutzuckerspiegel zu senken. Als Kind hat mich meine Mutter deshalb zum Rennen in den Garten geschickt, wenn der Blutzucker zu hoch war. Solange alles richtig eingestellt ist, habe ich heute beim Sport keinerlei Einschränkungen.“

Keine Einschränkungen beim Sport mit Diabetes

„Ich bin Diabetiker seit ich drei Jahre alt war. Insulin zu spritzen ist ein fester Teil meines Lebens, und beim Sport habe ich dadurch keinerlei Einschränkungen“, sagt Max Skrzypek. Bis 2024 kontrollierte der 20-Jährige händisch seinen Blutzuckerspiegel und spritzte sich bei zu hohen Werten Insulin in den Bauch. Dann stieg er auf eine Pumpe um, wie er erklärt: „Ich habe jetzt einen Chip am Arm, der ständig den Blutzucker kontrolliert. Er gibt die Werte an ein kleines Gerät weiter, das ich in der Hosentasche habe und das bei Bedarf über einen Port in meiner Bauchdecke Insulin an meinen Körper abgibt. Das ist echt easy zu handeln, nur beim Sport stört es natürlich.“

Deshalb steigt der Stuttgarter im Normalfall mit einem hohen Blutzuckerwert ins Training ein, damit er auf dem Bike nicht in Unterzucker gerät. „Sport und Insulin senken den Blutzucker, und wenn dieser zu tief fällt, droht man ohnmächtig zu werden – und das wäre beim BMX nicht so cool“, erklärt Max Skrzypek. „Ist er langfristig zu hoch, kann dies dem Körper enorm schaden. Da er durch den Sport aber gesenkt wird, ist es kein Problem, wenn er kurzfristig höher ist.“

Sport-Neueinsteigern mit Diabetes rät er deshalb, mit einem hohen Blutzuckerspiegel die ersten Schritte zu machen – „dann versteht man auch schnell, wie der eigene Körper auf die Belastung reagiert und man kann es von Training zu Training anpassen.“

Maike Hausberger

Radsport, Paralympics-Siegerin 2024 mit Hemiparese

„Ich habe 2009 in einer nicht inklusiven Gruppe mit Leichtathletik begonnen. Mein Trainer wollte mich mit meinem Handicap gar nicht erst zu Wettkämpfen mitnehmen, da es mit mir eh keinen Sinn macht.“

Frustrierender Einstieg in den Sportverein

„Ich habe 2008 die Paralympics im Fernsehen gesehen, war Feuer und Flamme und habe zu meinen Eltern gesagt, ich möchte auch mal Sport im Fernsehen machen“, lacht Maike Hausberger, die mit einer linksseitigen Hemiparese, einer Unterfunktion der linken Körperhälfte, zur Welt gekommen ist.

Nachdem die Eltern der gebürtigen Triererin nach kurzen Zweifeln festgestellt hatten, dass es ihrer damals 13-jährigen Tochter durchaus ernst damit war, meldeten sie sie beim Leichtathletikverein an. „Die wussten dort nicht wirklich etwas mit mir anzufangen. Da war ein älterer Trainer, der mir gleich sagte, dass er mich nicht zu Wettkämpfen mitnehmen wird, da das eh keinen Sinn machen würde. Das hat sich auf die ganze Trainingsgruppe ausgewirkt, die ziemlich gehässig fragte, was ich überhaupt dort mache, weil ich ja viel langsamer bin als sie. Das war so frustrierend, dass ich wieder nach Hause gehen wollte“, erinnert sich die inzwischen 30-Jährige.

Fast hätte ihre großartige paralympische Karriere in diesem Moment geendet, ehe sie überhaupt begonnen hatte. Doch da war noch ein zweiter, jüngerer Trainer – und für den kam es überhaupt nicht in Frage, dass er die junge Maike wieder unverrichteter Dinge ziehen ließ. „Er sagte zu meiner Mutter: ‚Sie fahren jetzt nicht wieder heim! Wir kriegen das in jedem Fall hin‘. Das war der Moment, der für mich alles änderte. Er hat mich in das System eingebunden und ich habe ihm sein Vertrauen direkt mit einem Sieg beim Jugendländercup und meiner ersten Deutschen Meisterschaft zurückgezahlt“, erzählt Maike Hausberger. „Spätestens als ich dann 2012 und 2016 über 400 Meter und im Weitsprung bei den Paralympics an den Start ging, musste auch der ältere Trainer zugeben, dass er falsch lag. Ich war seine einzige Athletin bei Olympischen oder Paralympischen Spielen und wir hatten dann auch ein sehr gutes Verhältnis.“

 

Tamara Röske

Sportlerin, Schauspielerin und Model, Medaillengewinnerin Special Olympics Weltspiele

„Ich treibe sehr viel Sport und habe schon viele Medaillen gewonnen. Die 50.000 Zuschauer bei den Weltspielen in Berlin waren toll und ich hatte Gänsehaut. Als Schauspielerin habe ich in ‘Fack ju Göhte 3’ und beim Traumschiff mitgespielt.“

Auch für Tamara Röske, die mit dem Down-Syndrom geboren wurde, war der Einstieg in den Sport extrem frustrierend, wie ihre Mutter Antje berichtet: „Menschen wie Tamara sind nicht überall gerne gesehen. Wir sind von Pontius zu Pilatus gelaufen und kein Verein wollte uns aufnehmen. Beim Reiten hieß es erst, dass sie den Sport leistungsorientiert betreiben und das nichts für meine Tochter sei. Man schlug stattdessen heiltherapeutisches Reiten vor, was für Tamara überhaupt nicht gepasst hat. Irgendwann haben wir dann Westernreiten entdeckt. Dort wurde sie mit offenen Armen aufgenommen und sie ist bis heute dabeigeblieben. Beim Schwimmen war es ähnlich. Ein Trainer hat sie als 13-Jährige zu kleinen, siebenjährigen Mädchen gesteckt, wo sie allein schon von der körperlichen Entwicklung her überhaupt nicht reingepasst hat. Inzwischen ist sie beim SV Cannstatt im Parabereich, und dort fühlt sie sich wohl.“

Ein Segen sei es dann gewesen, dass sie auf die Leichtathletik-Gruppe des Vereins 46 PLUS Down-Syndrom Stuttgart gestoßen sind. „Das ist eine unfassbar coole Gruppe, die eine Bereicherung für alle ist. Ich bin dankbar, dass es Menschen wie Natja Stockhause gibt, die unseren Kindern ein sportliches Zuhause geben.“

Es steht und fällt mit engagierten Menschen

Bevor Natja Stockhause vor zehn Jahren die Leichtathletik-Gruppe von 46 PLUS ins Leben rief, hatte sie ähnliche Erfahrungen wie Antje Röske gemacht. „Ich habe selbst einen Sohn mit Down-Syndrom. Er war auch schon immer sportlich aktiv, hat dann aber irgendwann festgestellt, dass er das alles nicht so gut kann wie die anderen Kinder. Da es nirgends ein auf ihn abgestimmtes Angebot gab, war für mich der Zeitpunkt gekommen, an dem ich beschlossen hatte, selbst ein sportliches Zuhause für Menschen mit Down-Syndrom und anderen geistigen Behinderungen zu schaffen“, berichtet die langjährige Leichtathletik-Trainerin.

Die jungen Leichtathletinnen und Leichtathleten bei 46 PLUS legen inzwischen enorme sportliche Leistungen an den Tag. „Sie verbessern sich stetig“, schwärmt Natja Stockhause, und der Erfolg gibt ihr recht: Bei den Special Olympics World Winter Games in Turin sind gerade jetzt im März 2025 mit Reka Schatz und Giuliana Diaz zwei ihrer Leichtathletinnen im Ski Alpin angetreten, bei den Sommer-Weltspielen 2023 in Berlin kehrten Mika Burk und Tamara Röske mit Edelmetall zurück.

Antje Röske

Mutter von Tamara Röske

„Menschen wie Tamara sind nicht überall gerne gesehen. Du stehst am Rand und kommst nicht in die Vereine rein. Im Schwimmen musste sie mit 13 Jahren mit Siebenjährigen trainieren. Die Leichtathletik-Gruppe bei 46 PLUS ist dagegen ein Segen für uns. Die Gruppe ist so unfassbar cool.“

Natja Stockhause

Leichtathletik-Trainerin bei 46 PLUS Down-Syndrom Stuttgart

„Unser Gedanke bei der Gründung der Leichtathletik-Gruppe war, dass Sport für alle da ist. Wir wollten den jungen Menschen mit Down-Syndrom die Teilnahme an sportlichen Wettbewerben ermöglichen. Es war nicht absehbar, dass etwas so Großes entstehen würde.“

„Berlin war traumhaft schön“, erinnert sich Tamara Röske strahlend an die Weltspiele. „Wenn ich an den Einlauf vor 50.000 jubelnden Zuschauern im Olympiastadion denke, kriege ich heute noch Gänsehaut.“

Natja Stockhause, die von Tamara liebevoll als „Ersatzmutter“ bezeichnet wird, bedauert, dass sie inzwischen einen Aufnahmestopp für das Leichtathletik-Training verhängen musste und es eine lange Warteliste gibt. „Wir haben im Ehrenamt zehn mega engagierte Trainerinnen und Trainer, aber das reicht leider nicht aus, um weitere Sportlerinnen und Sportler mit Down-Syndrom aufnehmen zu können. Bei uns ist der Betreuungsbedarf wesentlich größer als normal, und wir müssen in jedem Training mindestens sechs Trainer in der Halle haben“, so die Kornwestheimerin.

Karriereende mangels Trainingsgruppe

Ganz ohne Trainingsgruppe steht inzwischen Caroline Scheffler da. Erst vor Kurzem änderte die junge Hohenloherin in ihrem Instagram-Profil die Bezeichnung „Paraswimmer“ in „Ehem. Paraswimmer“. „Für meinen ersten Verein war ich zu gut geworden, da war meine Trainerin an ihre Grenzen gestoßen. Ich bin daraufhin ein Dreivierteljahr beim SV Cannstatt geschwommen, dann wurde aber meiner Familie die Fahrerei zu viel und ich bin nach Neckarsulm gewechselt. Und dort sprang 2023 der Hauptsponsor ab, wodurch die ganze Schwimmabteilung auseinandergebrochen ist. Seither sitze ich quasi auf dem Trockenen und gehe nur noch freizeitmäßig schwimmen“, berichtet die 21-Jährige. Deshalb beendete sie jetzt ihre Karriere.

Dabei war es der Schwimmsport, der sie als Jugendliche wieder aus dem Rollstuhl geholt hat. „Ich habe eine seltene Gefäßerkrankung, durch die aus meinen Gefäßen gutartige Tumore entstehen, die am ganzen Körper verteilt sind, Muskeln, Nerven und Knochen beeinträchtigen und regelmäßig chirurgisch entfernt werden müssen“, erklärt Caroline Scheffler, die bereits 24 Operationen unter Vollnarkose hinter sich hat. „Diese Tumore verursachen starke Schmerzen und die Erkrankung hatte dafür gesorgt, dass die Muskeln in meinen Beinen fast nicht mehr vorhanden waren und ich mich nur noch im Rollstuhl fortbewegen konnte.“

 

Der „Game Changer“ für Caroline war eine Schwimmtherapie gegen ihre Schmerzen, als sie elf Jahre alt war. „Das hat mir nicht nur gut getan, sondern auch noch Spaß gemacht. Als Fünftklässlerin bin ich dann in den Schwimmverein eingetreten und habe zweimal pro Woche trainiert“, erzählt sie.

Das Schwimmen hat ihr Leben gleich auf drei Ebenen verändert: Im Wasser sind die ständigen Schmerzen so gut wie weg, die Muskulatur wurde wieder aufgebaut und sie braucht nur noch selten den Rollstuhl – und auch der sportliche Erfolg stellte sich ein: Caroline Scheffler holte unter anderem achtmal den Titel bei Baden-Württembergischen Meisterschaften im Para-Schwimmen und wurde Vierte bei den Deutschen Kurzbahn-Meisterschaften 2019.

Seit ein paar Jahren klärt sie zudem fast täglich mit Beiträgen und Storys als Influencerin (Instagram + TikTok @_carosjourney_) über chronische Erkrankungen auf.

Weltmeisterin mit Spenderorgan

Sportlich aktiver als jemals zuvor ist momentan Bera Wierhake, die 2024 von ihrem Heimatverein TSG Öhringen zu den Leichtathleten des VfB Stuttgart gewechselt ist. Die 24-Jährige lebt, seit sie neun Monate alt war, mit einer Spenderleber und ist inzwischen siebenfache Transplantierten-Weltmeisterin über die Mittelstrecken-Distanzen (800 bis 5.000 Meter).

„Bei meiner Geburt waren die Gallengänge nicht richtig ausgebildet, wodurch sich meine Leber selbst vergiftet hat. Eine Transplantation war die einzige Möglichkeit, damit ich überlebe. Die Diagnose wurde nach zwei Wochen gestellt. Da ich aber noch zu klein war, mussten meine Eltern noch über ein halbes Jahr warten, und auch dann hat die Transplantation erst beim dritten Anlauf geklappt. Das muss eine schlimme Zeit für sie gewesen sein.“

Caroline Scheffler

Ehemalige Schwimmerin mit chronischer Gefäßerkrankung

„Ich habe erst mit elf Jahren Schwimmen gelernt. Damals saß ich im Rollstuhl und habe eine Schwimmtherapie gegen meine starken Schmerzen gemacht. Das regelmäßige Schwimmtraining hat sehr geholfen. Heute brauche ich den Rollstuhl nur noch selten.“

Bera Wierhake

Transplantierten-Leichtathletin mit Spenderleber

„Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie mich nach der Transplantation aufgezogen haben wie ein normales Kind. Meinen Lehrern haben sie gesagt, dass ich kein rohes Ei bin und sie mit mir umgehen können wie mit allen anderen Kindern auch.“

Sehr dankbar sei sie, sagt Bera Wierhake, dass ihre Eltern sie aufgezogen hätten wie ein normales Kind: „Während andere transplantierte Kinder in Watte gepackt wurden, haben meine Eltern den Lehrern gesagt, dass sie mich nicht wie ein rohes Ei zu behandeln brauchen und mit mir umgehen können wie mit allen anderen Kindern auch.“

Auch ihr Einstieg in den Sport verlief unproblematisch. „Von der Prima Ballerina über Fußball bis zum Reiten habe ich alles ausprobiert und ich war, laut meinen Eltern, immer die mit den Hummeln im Hintern“, lacht sie. „Als ich dann 14 Jahre alt war, hat mir eine Kinderkrankenschwester erzählt, dass es Leichtathletik-Wettbewerbe für Transplantierte gibt. Das wollte ich machen! Ich bin zur TSG Öhringen gegangen und habe zu meiner Trainerin gesagt: ‚Hallo, ich bin Bera und ich möchte zur WM. Kannst du mich trainieren?‘ Sie schaute mich zwar erstmal etwas schräg an, hat mich aber aufgenommen und ließ mich als vollwertiges Teammitglied mittrainieren. Dafür bin ich ihr heute noch dankbar.“

Gleich bei ihren ersten Deutschen Meisterschaften nach einem halben Jahr Training räumte Bera vier Titel ab. Der sportliche Erfolg war in diesem Moment aber zweitrangig, denn plötzlich war sie unter lauter Athletinnen und Athleten, die eine ähnliche Geschichte wie sie hatten. „Die Wertschätzung bei den Wettbewerben war unglaublich schön. Man hat sich gegenseitig supportet, weil man wusste, was jeder Einzelne in seinem Leben schon durchgemacht hat. Im Normalfall erhält bei Transplantierten-Meisterschaften sogar der Letzte, der ins Ziel kommt, noch mehr Beifall als der Erste.“

Dieses positive Gefühl versucht sie seit ein paar Jahren an Familien zu vermitteln, bei deren Kindern auch eine Organtransplantation notwendig ist. „Ich erlebe ganz oft Eltern, die Angst haben, dass ihr Kind keine normale Zukunft hat. Diese Angst möchte ich ihnen nehmen – sei es durch Einzelgespräche oder im Rahmen von Vorträgen. Durch meine Erfolge im Sport bekomme ich inzwischen die Plattform, um auch auf größeren Bühnen zu sprechen und meine Geschichte zu erzählen“, so Bera Wierhake, die in diesem Jahr auch Botschafterin der World Transplant Games ist, die von 17. bis 24. August in Dresden stattfinden.

Bewusstsein für Inklusion schaffen

Gebannt verfolgte Barbara List die Erzählungen der Sportlerinnen und Sportler. Als stellvertretende Geschäftsführerin des Württembergischen Behinderten- und Rehasportverbands hat sie zwar täglich mit dem Thema Inklusion zu tun, solche detaillierten Einblicke hinter die Kulissen von Leistungssportlern zu bekommen, ist aber eher die Ausnahme.

Die aktive Basketballspielerin berichtet in der Runde vom Projekt HANDICAP MACHT SCHULE, das sie seit sieben Jahren leitet: „Wir gehen an die Grundschulen, um die Kinder schon im jungen Alter für das Thema Behindertensport zu sensibilisieren. Sie dürfen im Sportunterricht Rollstuhlbasketball und Blindenfußball ausprobieren und können sich so auch mal in die Lage von Menschen mit Behinderungen versetzen.“

Barbara List

Stv. Geschäftsführerin Württembergischer Behinderten- und Rehasportverband (WBRS)

„Mit unserem Projekt HANDICAP MACHT SCHULE sensibilisieren wir seit elf Jahren Grundschulkinder für das Thema Behinderung und fördern damit die Inklusion.“

Letzteres ist auch ein Teil des Jobs von Michael Leßke. Als Orthopädietechniker bei ORTEMA muss er sich in die Lage seiner Kunden versetzen, um ihre Bedürfnisse besser zu verstehen und die passenden Hilfsmittel herzustellen. „Ich musste dabei lernen, dass es wichtig ist, Menschen mit Handicap nicht sofort unter die Arme greifen zu wollen. Sie entwickeln ihre eigenen Techniken, beispielsweise um Kleidung oder Hilfsmittel anzuziehen. Wenn es erst beim fünften oder zehnten Anlauf klappt, ist das überhaupt nicht schlimm, solange es ohne fremde Hilfe funktioniert. Man will ja nicht jedes Mal um Hilfe bitten müssen.“

Zustimmung erhält er dabei von Maike Hausberger: „Wir eignen uns Techniken an, die ein Nicht-Behinderter nie machen würde. Dafür brauchen wir halt erstmal tausend Verzweiflungen, aber irgendwann funktioniert es. Und das ist genau das, woran wir wachsen und unsere Behinderung oder Erkrankung kennenlernen. Und wenn wir selbst wissen, wie wir funktionieren, können wir auch den Orthopädietechnikern genau erklären, was wir von ihnen benötigen.“

Paralympics-Medaille mit original Rost

Als stolze Paralympics-Siegerin und -Medaillengewinnerin brachte Maike Hausberger ihre beiden Trophäen, die Goldmedaille für ihren Sieg im Einzelzeitfahren auf der Straße sowie die Bronzemedaille im Zeitfahren über 500 Meter auf der Bahn, mit in die BMW Niederlassung Stuttgart Rosensteinpark. Dabei ließ sie die Medaillen durch die Reihen gehen und erklärte die Prägungen und Symbole, die sich auf den Vorder- und Rückseiten befinden.

Michael Leßke

Orthopädietechniker bei ORTEMA in Markgröningen

„Ich habe bei meinem Job gelernt, dass es wichtig ist, Menschen mit Handicap nicht sofort helfen zu wollen. Sie haben ihre eigenen Techniken entwickelt, um beispielsweise ihre Jacke anzuziehen.“

Eine Besonderheit weist dabei die Bronzemedaille auf, wie die Wahl-Stuttgarterin erklärt: „Es war ja überall in der Presse, dass die Bronzemedaillen der Olympischen und Paralympischen Spiele wegen eines Materialfehlers Rost angesetzt haben. Auch auf meiner Medaille seht ihr die Rostspuren. Ich hätte sie zurückschicken und in einen rostfreien Ersatz umtauschen können, habe mich aber dagegen entschieden. Denn genau diese Medaille wurde mir bei der Siegerehrung um den Hals gehängt, und als meine erste Paralympics-Medaille hat sie einen unheimlich hohen emotionalen Stellenwert für mich – egal, ob sie verrostet ist oder nicht.“

Der verletzungsbedingte Umstieg von der Leichtathletik zum Radsport nach den Paralympics 2016 sei die beste Entscheidung ihrer Karriere gewesen, strahlt Maike Hausberger. „Allein die Nominierung für Paris war für mich nun das Schönste, was ich erreichen konnte. Dann gewann ich die Bronzemedaille und ich schwebte auf Wolke sieben. Damit hatte ich alles erreicht, was ich mir im Sport jemals erträumt hatte. Als ich dann fünf Tage später auch noch Gold holte, war das für mich total unnatürlich, denn damit hatte ich so gar nicht gerechnet.“

Bereits vor den Medaillengewinnen war sie in der 3-Kilometer- Verfolgung Weltrekord in ihrer Startklasse C2 gefahren – und war in diesem Rennen dennoch leer ausgegangen. „Das war sehr ernüchternd“, berichtet sie kopfschüttelnd. „Sie haben bei Olympia die Startklassen C1 bis C3 zusammengelegt, was bei einer WM normalerweise nicht der Fall ist. C steht für Cycling, und je kleiner die Zahl, desto stärker der Behinderungsgrad der Athletin. Wenn mehrere Klassen zusammengelegt werden, fließen für die Wertung noch Zeitfaktoren mit ein, bei denen wir selbst nicht immer durchblicken, und am Ende weißt du erstmal nicht, was deine Leistung jetzt wert war.“

Wie läuft die Klassifizierung im Parasport ab?

Da die SPORT.S-Redaktion schon immer mal wissen wollte, wie die Klassifizierungen im Parasport ablaufen, haben wir die Gelegenheit genutzt, um auch hier für unsere Leser noch Einblicke zu bekommen.

„Du kommst in einen Raum rein, in dem drei Leute mit einer technischen Klassifizierungs-Ausbildung sitzen – ein Physiotherapeut, ein Arzt und ein Techniker“, erklärt Maike Hausberger. „Sie stellen Fragen zur Behinderung, was man kann, was man nicht kann, wie lange man die Behinderung schon hat, seit wann man Leistungssport betreibt, wie oft man pro Woche trainiert – solche Dinge. Dann legt man sich auf die Pritsche, wo die Beweglichkeit und Funktionalität der Extremitäten ausgetestet wird. Das kann gerade in meinem Fall recht schmerzhaft werden. Alles zusammen ergibt dann den Behinderungsgrad, anhand dessen man einer Klasse zugewiesen wird. Ganz objektiv ist das nie, aber die Leute, die uns klassifizieren, sind auch nur Menschen, die nicht in uns hineinsehen können.“

Im Schwimmsport laufe die Klassifizierung grundsätzlich zwar ähnlich ab, doch gebe es hier neben dem Banktest auch noch einen Wassertest, wie Caroline Scheffler berichtet: „Beim Banktest gibt es für alles, was man nicht kann, einen Punkt. Nur wenn man hier 15 Punkte erreicht, kommt man auch zum Wassertest, über den man dann klassifiziert wird. Ich bin dabei immer in der Rubrik „Allgemeinbehindert“ gelandet und musste deshalb mit meinen nicht richtig funktionierenden Muskeln unter anderem auch gegen Hörgeschädigte schwimmen. So richtig fair war das dann auch nicht.“

Wir möchten mit diesem Beitrag Menschen mit Handicaps dazu inspirieren, den Schritt in den Sport zu machen. Wenn ihr dazu Fragen an die Leistungssportler habt, meldet euch gerne per Mail an ralf@winwinsport.de