Leonardo Di Stefano Ruiz – Von Ludwigsburg über Mexiko in die USA
16 Profi-Boxkämpfe, 13 Siege, davon 12 per K.o. – die Bilanz von Leonardo Di Stefano Ruiz kann sich sehen lassen. So international wie der Name des gebürtigen Ludwigsburgers klingt, so bunt verlief auch die bisherige Karriere des 28-Jährigen. Nach sechs Kämpfen in Mexiko, drei Fights in den USA und einem weiteren Duell in Spanien feierte der zweifache Familienvater, der seit drei Jahren in Bietigheim-Bissingen wohnt, Anfang Mai in Heilbronn sein Deutschland-Comeback.
Wir haben uns daraufhin mit dem Sohn eines italienischen Vaters und einer spanischen Mutter in der Bietigheimer Altstadt getroffen und einen sympathischen, bodenständigen Sportler kennengelernt, der schon sehr viel erlebt hat und dessen potenzielles Karrierehighlight unmittelbar bevorsteht.

Autor:Ralf Scherlinzky

Leo Di Stefano Ruiz (links) bei seinem Kampf in Heilbronn. Foto: media:system
Leo, Glückwunsch zu deinem erfolgreichen Deutschland-Comeback. Was hat dir der Sieg in Heilbronn bedeutet?
Leonardo Di Stefano Ruiz: Ich hatte davor drei meiner letzten vier Kämpfe verloren und war durch eine mental recht schwierige Zeit gegangen. Mein Gegner stellte mich zwar vor keinerlei Herausforderung und der Kampf war schon nach eineinhalb Minuten vorüber, aber von mir ist dabei so viel Druck abgefallen, dass ich danach im Interview mit dem Ringsprecher richtig emotional geworden bin. Ich weiß jetzt, dass ich bereit für den nächsten großen Schritt bin.
Und dieser große Schritt steht schon unmittelbar bevor, denn du boxt am 22. Juni 2024 in Philadelphia/USA gegen den noch ungeschlagenen Amerikaner Oluwafemi Oyeleye…
Leonardo Di Stefano Ruiz: Genau. Ich habe durch meine Zeit in Mexiko und den USA drüben einen recht guten Namen und sein Promoter kam auf mich zu und hat mir ein lukratives Angebot für fünf Kämpfe vorgelegt. Wenn Gott will und ich den Kampf gewinne, werde ich in der Weltrangliste ca. auf Platz 50 nach vorne rücken, und dann sollte der nächste Kampf gegen jemanden um Platz 20, 30 folgen. Würde ich auch dort gewinnen, würde ich meinen WM-Kampf bekommen. So sieht zumindest in der Theorie mein Plan aus. Ich weiß jedoch aus den letzten Jahren sehr gut, dass einem immer wieder Steine in den Weg gelegt werden.

Leo Di Stefano Ruiz und seine Mutter nach dem Kampf in Heilbronn.
Foto: privat
Du warst ja noch nie derjenige, der die einfachen Wege gegangen ist, sondern hast immer die Herausforderung gesucht. Wie bist du eigentlich zum Boxen gekommen?
Leonardo Di Stefano Ruiz: Ich komme aus, wie man so schön sagt, sehr einfachen Verhältnissen. Wir Jungs aus dem „Untergrund“ mussten schon immer kämpfen, und das Kämpfen hat mir auch immer Spaß gemacht. Mit 14 habe ich mit dem Boxen begonnen. Mein Vater war damals krank und konnte nicht voll arbeiten, weshalb meine Mutter gleich vier Jobs hatte. Ich habe ihr bei ihren Putzjobs geholfen, um für das Gym bezahlen zu können. Mein Tag hat damals so ausgesehen, dass ich morgens trainiert habe, dann zur Schule gegangen bin, wieder trainiert habe und abends meiner Mama beim Putzen geholfen habe. Insgesamt habe ich 80, 90 Kämpfe als Amateur gemacht und habe von einer Olympia-Teilnahme geträumt.
Wie kam es dann zum Wechsel zu den Profis?
Leonardo Di Stefano Ruiz: 2019 wurde meine Frau schwanger und ich musste schauen, dass ich Geld verdiene. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt weder einen Schulabschluss, noch einen Job. Also habe ich zum einen meine Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker begonnen und konnte zum anderen über meinen damaligen Manager Rainer Gottwald mit meinen ersten fünf Profikämpfen Geld verdienen. Dann kam die Coronazeit und ich stand wieder mit leeren Taschen da – nur hatten wir nun auch noch unseren Sohn zuhause. Mir wurde klar, dass ich aus Deutschland weg muss, um mit dem Boxen unser Leben finanzieren zu können.
Dann begann die Reise ins Unbekannte…
Leonardo Di Stefano Ruiz: Das kann man sprichwörtlich so sagen (lacht). Ich habe meinen Rucksack gepackt und bin mit einem One-Way-Ticket nach Tijuana/Mexiko geflogen. Tijuana liegt direkt an der Grenze zu Kalifornien und gilt als eine der gefährlichsten Städte der Welt – entsprechend war es mir auch recht mulmig zumute, als ich dort ankam und nicht wusste, wer mich abholt und wo ich lande. Das ist dort eine ganz andere Welt, ich wurde aber wirklich von einem tollen Menschen empfangen, mit dem ich heute noch in Kontakt bin und der für mich wie ein Onkel ist.
Wie lange hat es gedauert, ehe du dort deinen ersten Kampf hattest?
Leonardo Di Stefano Ruiz: Gerade mal sechs Tage. Ich hatte immer noch den Jetlag in den Knochen und musste in einer ziemlich versifften Bude boxen. Ich war total eingeschüchtert und habe in der ersten Runde ziemlich viel eingesteckt. Dann konnte ich das Blatt jedoch wenden und den Kampf in der zweiten Runde per K.o. gewinnen. Durch den Sieg, in Kombination mit der Tatsache, dass ich allein zum Boxen nach Tijuana gekommen war, habe ich mir den Respekt der Mexikaner erarbeitet. Ich habe Management, Trainer, Wohnung und Auto bekommen und konnte weitere Kämpfe gegen immer besser werdende Gegner bestreiten. Mit dem Geld, das ich verdient habe, konnte ich meine Familie in Deutschland ernähren, und bin ca. alle drei Monate für eine Zeitlang nach Hause geflogen.
Der nächste Schritt führte dich dann über die Grenze in die USA…
Leonardo Di Stefano Ruiz: Ich war schon vorher immer wieder mal zum Trainieren in Los Angeles und habe im August 2022 dort in einem Casino zum ersten Mal gekämpft. Nach meinem K.o.-Sieg dort habe ich ein Angebot für einen Kampf in Florida bekommen, das ich finanziell gesehen nicht ablehnen konnte. Als ich meinem Gegner dort dann gegenüberstand, wusste ich, dass ich mich überschätzt hatte. Er hatte im Jahr davor bei den Olympischen Spielen in Tokio geboxt, war dann zu den Profis gewechselt und hatte seine bis dato zehn Profikämpfe alle gewonnen, allein acht davon per K.o. Ich habe gut gekämpft, nach fünf Runden konnte ich dann aber nichts mehr sehen und der Kampfrichter hat den Fight abgebrochen.
Wie bist du mit deiner ersten Niederlage umgegangen?
Leonardo Di Stefano Ruiz: Dadurch, dass ich verloren habe, habe ich viel gewonnen. Zum einen konnte ich mich als Mensch weiterentwickeln. Der Kampf war aber auch für meine Reputation als Boxer in den USA enorm hilfreich. Die Leute haben anerkannt, dass ich nicht in den Ring gestiegen bin, um mich verprügeln zu lassen und das Geld mitzunehmen. Sie haben mein Kämpferherz und meinen Siegeswillen gegen einen übermächtigen Gegner gesehen. Dennoch habe ich durch diese und auch die nächste, ganz knappe Niederlage bei einem Kampf über zehn Runden in Virginia auch die negativen Seiten des Boxsports schmerzlich kennengelernt…
Inwiefern?
Leonardo Di Stefano Ruiz: Während mich die Fans in den USA gefeiert haben, haben mich auf einen Schlag mein Trainer und mein Manager fallen lassen. Viele meiner sogenannten Freunde haben sich seitdem nie mehr gemeldet, und als ich das nächste Mal nach Hause gekommen bin, waren auch meine Sponsoren weg – alle, bis auf das Autohaus Scharfenberger aus Ingersheim, das mich schon unterstützt, seit ich 14 war.

Foto: Andreas Dalferth
Was haben diese Rückschläge mit dir gemacht?
Leonardo Di Stefano Ruiz: Sie haben mir den Boden unter den Füßen weggezogen und ich habe Depressionen bekommen. Ich war entsetzt über diese Respektlosigkeit, habe mich wertlos gefühlt und wollte meine Karriere beenden. Nur dank meiner Mutter, die darauf beharrt hat, dass ich das, was ich mein ganzes Leben lang geliebt habe, weitermache, stehe ich heute noch im Ring.

Selfie vor dem Bietigheimer Rathaus: Leo Di Stefano Ruiz und Redakteur Ralf Scherlinzky. Foto: privat
Wie ging es dann für dich weiter?
Leonardo Di Stefano Ruiz: Ich arbeite seither wieder mit meinem Trainer aus Amateurtagen, Achim Böhme vom MBC Ludwigsburg, zusammen. Nach fast acht Monaten Pause bin ich im März 2024 in Spanien zum ersten Mal wieder zu einem Kampf in den Ring gestiegen. Leider ist mir bei einem Schlag aufs Ohr das Trommelfell geplatzt und ich habe erneut verloren. Diesmal sind mir meine verbliebenen Freunde aber gemeinsam mit meiner Familie zur Seite gestanden, wofür ich unheimlich dankbar bin. Danach kam dann der Sieg in Heilbronn, der zwar sportlich ziemlich wertlos war, der mir aber den ganzen, über lange Monate angestauten Druck genommen hat.
Wir wünschen dir viel Erfolg in den USA und behalten deinen Weg weiter genau im Auge.
Leonardo Di Stefano Ruiz: Danke, ich halte euch gerne auf dem Laufenden.
Späte Ergänzung der Redaktion: Leonardo hat seinen Kampf gegen Oyeleye in Philadelphia leider verloren. Kopf hoch, Leo!