Ein Event dieser Größenordnung hat Deutschland bislang noch nie gesehen. 7.000 Athlet:innen, 26 Sportarten, Delegationen aus 190 Ländern und über 20.000 freiwillige Helfer:innen kommen vom 17. bis 25. Juni 2023 in Berlin zusammen, um um Gold, Silber, Bronze und die Plätze dahinter zu kämpfen. Fußball, Schwimmen, Turnen, Leichtathletik, Kanu, Tennis, Hockey, Judo – dies ist nur ein kleiner Auszug aus 22 Sportarten, in denen sich die besten Sportler:innen der Welt in Berlin batteln werden. Die Special Olympics Weltspiele 2023 werden das größte in Deutschland jemals dagewesene inklusive Sportevent für Menschen mit mentaler Beeinträchtigung sein. Aus der Region Stuttgart sind der Waiblinger Kugelstoßer Mika Burk (23) und die Stuttgarter Weitspringerin Tamara Röske (27) vom Verein 46PLUS Down-Syndrom Stuttgart am Start. Wir haben mit Leichtathletik-Trainerin Natja Stockhause vom SV Salamander Kornwestheim gesprochen, um mehr über die beiden Athleten und die Special Olympics Weltspiele zu erfahren. 

Autor:Ralf Scherlinzky

17. März 2023
Der Stolz des Vereins 46PLUS:Seine Berlin-Fahrer Mika Burk,
Thomas Stockhause und Tamara Röske. Foto: Conny Wenk

Hintergrundinfos zu den Special Olympics

Bis zum Jahr 1968 hatte es keinerlei Strukturen für den Behindertensport für Menschen mit mentaler Beeinträchtigung gegeben.
Dies änderte sich, als Eunice Kennedy-Shriver, Schwester des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy, die Behinderung ihrer älteren Schwester Rosemary zum Anlass nahm, die weltgrößte Veranstaltung für Behindertensport, die Special Olympics, ins Leben zu rufen. Diese sind vom Internationalen Olympischen Komitee offiziell anerkannt und dürfen als einzige Organisation den Ausdruck „Olympics“ weltweit nutzen.
1991 wurde der Bundesverband Special Olympics Deutschland ins Leben gerufen, der die nationalen Spiele austrägt. Zu diesen wiederum qualifizieren sich die Sportler:innen über die Special Olympics Landesspiele.

„Als die Info kam, dass Mika und Tamara nominiert wurden, für Deutschland bei den Special Olympics Weltspielen anzutreten, waren die beiden komplett aus dem Häuschen. Sie konnten es erst nicht fassen – und wir ehrlich gesagt auch nicht“, lacht Natja Stockhause. „Vor sieben Jahren, als ich die Sportgruppe als Kooperationsprojekt von 46PLUS und dem SV Salamander Kornwestheim ins Leben gerufen habe, haben wir noch gewitzelt, dass wir auch zu den Weltspielen gehen würden, wenn man uns  fragen würde. Und jetzt wird dieser damals noch nicht ernst gemeinte Traum wahr.“

Ein Mann der ersten Stunde war damals schon Mika Burk, der aus einer sportlichen Waiblinger Familie stammt und mit der Leichtathletik aufgewachsen ist. Der heute 23-Jährige nahm seither für seinen Verein an allen Wettbewerben des Bundesverbands Special Olympics Deutschland teil – ob Landesspiele oder nationale Spiele, ob im Winter oder im Sommer. Mit einer Weite von 4,90 Metern konnte er 2022 nicht nur den nationalen Titel im Kugelstoßen gewinnen, sondern letztendlich auch die Nominierung für Berlin eintüten.

Ganz anders der sportliche Werdegang von Tamara Röske: Zwar war auch sie schon von klein auf bei vielen Aktionen von 46PLUS dabei, zum Sport kam sie jedoch erst vor zwei Jahren. „Tamaras erster Wettbewerb waren die nationalen Spiele 2022 in Berlin. Da hat sie den Weitsprung mit 2,60 Metern gewonnen und sich damit für die
Weltspiele-Nominierung empfohlen“, erinnert sich Natja Stockhause. Dafür hat Tamara in den letzten Jahren in anderen Bereichen zahlreiche Erfolge gefeiert: Erst als Model mit Shootings für Marken wie Hugo Boss in Berlin, Paris und Rom, dann als Schauspielerin mit Down-Syndrom unter anderem im Film „Fack ju Göhte 3“.

Dritter im Bunde der Weltspiele-Teilnehmer von 46PLUS ist Natja Stockhauses Mann Thomas, der als einer von sechs Trainern das deutsche Leichtathletik-Team betreut. „Er wollte sich eigentlich gar nicht bewerben, weil er meinte, dass er eh keine Chance hat. Dass er aber ehemaliger Zehnkämpfer und Stabhochspringer ist und von
Anfang an mit unseren Sportlern mit Down-Syndrom arbeitet, hat das Kommitee davon überzeugt, dass er genau der Richtige ist, um die deutschen Leichtathletinnen und -athleten zu betreuen“, so Natja Stockhause

Den ersten Vorbereitungs-Lehrgang des Jahres für die Weltspiele mit zwei Trainingseinheiten am Tag haben die Drei bereits hinter sich. Im Normalfall trainieren Mika und Tamara einmal wöchentlich am Donnerstagabend in Kornwestheim. Im Vorfeld der Weltspiele kommt nun am Wochenende eine zweite Einheit dazu. Besonders freuen sie sich darauf, dass es Ende März wieder aus der Sporthalle nach draußen geht. „In der Halle Kugelstoßen und Weitsprung zu trainieren, ist so gut wie unmöglich. Deshalb wird im Winter mit Kraft- und Athletiktraining die Grundlage für den Sommer gelegt“, weiß Natja Stockhause. „Die beiden müssen auch konditionell gut drauf sein, denn sie starten außer in ihrer Hauptdisziplin auch noch über 100 Meter sowie in der 4 x 100 Meter-Staffel.“
Die Wettkampfregeln unterscheiden sich gegenüber denen aus der olympischen Leichtathletik in einem wesentlichen Punkt. Natja Stockhause erklärt: „Die Qualifikations-Wettbewerbe zum Anfang der Weltspiele sind eigentlich eher Klassifizierungs-Wettbewerbe, anhand deren Ergebnissen Sportlerinnen und Sportler mit ähnlichen Weiten und Zeiten in Finalgruppen gesetzt werden. So gibt es nicht nur ein Finale, sondern mehrere Finalwettbewerbe mit jeweils acht gleich starken Teilnehmern. Das sorgt für eine unglaubliche Spannung und jeder Zentimeter oder jede Hundertstelsekunde kann über Sieg oder Niederlage entscheiden. Das Hanns-Braun-Stadion im Olympiapark wird also viele Siegerehrungen erleben.“

46PLUS wurde 2003 als Elterninitiative mit der Zielsetzung gegründet, rund um das Down-Syndrom zu informieren und dadurch bestehende Vorurteile und Berührungsängste abzubauen. Jede menschliche Zelle besteht im Normalfall aus 23 Chromosomenpaaren, also aus insgesamt 46 Chromosomen. Menschen mit Down-Syndrom haben jedoch 47 Chromosomen – deshalb der Name 46PLUS.

Der Verein freut sich über finanzielle Unterstützung auf sein Spendenkonto DE67 6005 0101 0002 5549 94 bei der BW-Bank.

Special Olympics „Host Town“ Stuttgart

Im Vorfeld der Weltspiele richten 216 deutsche Städte vom 12. bis 15. Juni 2023 ein Willkommensprogramm für die teilnehmenden Länder aus. Auch die Stadt Stuttgart ist im Zuge des „Host Town“-Programms der Special Olympics World Games Gastgeber der aus rund 130 Personen bestehenden Delegation aus Großbritannien.
Mit ihrem Engagement möchte die Landeshauptstadt dafür sensibilisieren, dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam einen barrierefreien Zugang zu Sport-, Bildungs- und Arbeitsangeboten, sowie zu allen gesellschaftlich relevanten Bereichen erhalten. Ergänzend sollen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung in Stuttgart ganz selbstverständlich miteinander Sport treiben.
Im Mittelpunkt des viertägigen britischen Besuchs steht ein inklusives Fest der Begegnung durch Bewegung am Dienstag, 13. Juni 2023 von 10 bis 16 Uhr auf dem Stuttgarter Schloßplatz.
Die Gäste aus Großbritannien erleben gemeinsam mit Menschen aus Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie Schüler:innen aus Stuttgart einen ereignisreichen Tag. Sportliche Mitmachaktionen und Bewegungsangebote zusammen mit Mitgliedern aus Vereinen vom Sportkreis Stuttgart erwarten die Teilnehmenden. Spaß, Musik und auch Tanz tragen neben den angebotenen Freizeitaktivitäten dazu bei, dass man sich besser kennenlernt, Freundschaften schließt und einander respektiert. Ziel des Fests ist es, durch Begegnungen gelebte Inklusion in die Stadtgesellschaft zu tragen und den britischen Host Town-Gästen zu zeigen, inwieweit dies in Stuttgart bereits Alltag ist Info: www.stuttgart.de/leben/sport/host-town-program-2023/