SOWG 2023 in Berlin: Medaillen für Mika Burk und Tamara Röske
Vom 17.-25. Juni fand in Berlin mit den Special Olympics Weltspielen das größte Multisportevent in Deutschland seit den Olympischen Spielen 1972 statt. Mehr als 330.000 Fans, knapp 20.000 Volunteers, fast 7.000 Athletinnen und Athleten aus 176 Nationen sowie 1.200 Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter waren in die Bundeshauptstadt gereist, um in 26 Sportarten um insgesamt 4.002 Medaillen zu kämpfen. Allein zur Eröffnungsfeier im Berliner Olympiastadion waren über 50.000 Zuschauer gekommen. Mitten unter ihnen: Die beiden Athleten Tamara Röske (27) und Mika Burk (23) mit ihrem Trainer Thomas Stockhause aus dem Kooperationsprojekt von SV Salamander Kornwestheim und dem Verein 46PLUS Down-Syndrom Stuttgart.
Wir haben uns im Anschluss an die Weltspiele mit Natja Stockhause, die das Kooperationsprojekt vor acht Jahren ins Leben gerufen hatte und zusammen mit sieben weiteren Vereinskolleg:innen als Volunteer vor Ort im Einsatz war, über die Erlebnisse in Berlin unterhalten.
Autor:Ralf Scherlinzky
Nationalcoach Thomas Stockhouse mit seinen Schützlingen Tamara Röske und Mika Burk. Fotos: privat
„Überwältigend, bombastisch, unvergesslich, der Hammer, der Wahnsinn“ – aus Natja Stockhause sprudeln die Superlative geradezu heraus, als sie von den World Games und von den Erfolgen ihrer Schützlinge berichtet. Diese hatten es nämlich in sich und kamen ganz anders als erwartet.
Eigentlich war Mika Burk ja mit der Hoffnung angetreten, in seiner Paradedisziplin Kugelstoßen bei der Vergabe der drei Medaillen in seiner Klasse ein Wörtchen mitzureden. Dies tat er dann auch, landete aber auf dem undankbaren vierten Platz. „Dass Mika dann aber über die 100 Meter plötzlich die Goldmedaille gewinnt, damit hatte überhaupt keiner gerechnet“, strahlt Natja Stockhause. Schon im Halbfinale hatte der 23-Jährige mit 17,47 Sekunden eine neue persönliche Bestleistung aufgestellt. Im Finale gelang ihm dann der große Coup. Schon einige Meter vor der Ziellinie streckte er siegesssicher die Arme in die Luft, hatte er auf den ersten 80 Metern doch schon einen riesigen Vorsprung auf seine Gegner aus Oman, Korea, San Marino und Schleswig-Holstein herausgelaufen.
„Das war der Wahnsinn, wir sind alle völlig ausgeflippt“, so Natja Stockhause. „Mika wusste erstmal gar nicht, wohin mit seinen Gefühlen. Die Tränen sind nur so aus ihm herausgeströmt, das war total ansteckend und wir haben gemeinsam geweint. Das war ein echtes Wellenbad der Gefühle. Bei der Siegerehrung hat er dann stolz seine Goldmedaille hochgehalten und sich von seiner Familie und von uns allen feiern lassen.“
Eine schöne Geschichte am Rande: Mika Burks Trainingskollege Timo Stockhause, der Sohn von Natja und Thomas Stockhause, erfüllte sich in seiner Rolle als Volunteer den großen Wunsch, höchstpersönlich seinem Freund Mika die Goldmedaille auf dem Tablett zu reichen. Ein emotionaler Moment für alle Beteiligten!
Mit Tamara Röske landete auch die zweite Starterin von 46PLUS in ihrer Paradedisziplin auf Rang vier. Die 27-Jährige hatte dabei das Pech, dass es ausgerechnet am Tag ihres Weitsprung-Finales in Strömen regnete und der Wettbewerb unter alles andere als regulären Bedingungen stattfand. Doch auch sie durfte sich in einer anderen Disziplin über eine Medaille freuen. Bei der 4 x 100 Meter Staffel ging sie als dritte Läuferin an den Start und übergab den Stab an die Schlussläuferin, die das deutsche Team auf Platz drei ins Ziel brachte und den vier Läuferinnen die Bronzemedaille bescherte.
„Tamara war in Berlin eine gefragte Gesprächspartnerin für die Medien“, berichtet Natja Stockhause. „Dadurch, dass sie auch als Model und Schauspielerin tätig ist, man sie aus dem Film ‚Fack ju Göhte 3‘ kennt und sie unglaublich viele Follower in den Sozialen Medien hat, wurde sie zigfach für Interviews angefragt. Nachdem sie dann morgens um 7 Uhr beim Sat1 Frühstücksfernsehen war, haben wir dem Ganzen dann doch mal den Riegel vorgeschoben. Denn wir haben schon gemerkt, wie die Konzentration auf den Sport nachzulassen begann. Und außerdem bestand das deutsche Team ja nicht nur aus Tamara – da gab es noch so viele andere, die auch für Interviews bereitstanden.“
Einer davon war Mika Burk. Natja Stockhause erzählt: „Mika ist ja sonst eher so der ruhige Beobachter im Hintergrund. Und plötzlich hat er sich hingestellt und dem SWR vor laufender Kamera ein Interview gegeben. Er hat es richtig genossen, auch mal im Mittelpunkt zu stehen, und ist einfach in die Rolle derjenigen geschlüpft, die er sonst im Fernsehen sieht. Er kam von den Weltspielen wie verwandelt zurück, was zeigt, wie wichtig es ist, dass Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen durch die Special Olympics-Bewegung mehr in den Fokus rücken.“
Ganz anders im Fokus stand Thomas Stockhause, der als einer der acht Nationaltrainer für die 32 deutschen Leichtathletinnen und Leichtathleten verantwortlich war. Seine Tage in Berlin begannen um 4.45 Uhr und endeten erst tief in der Nacht. Zum Wecken seiner Schützlinge um 5.30 Uhr musste er selbst schon mit allem fertig sein. Sein morgendlicher Job war es, darauf zu achten, dass das Nationalteam einheitlich gekleidet war, alle ihre Ausrüstung für die Wettbewerbe komplett eingepackt und zum Teil auch ihre Medikamente genommen hatten. Nach der Betreuung auf der Sportanlage ging es für den ehemaligen Zehnkämpfer und Stabhochspringer abends im Hotel weiter – darauf achten, dass alle ins Bett gehen und das Licht ausmachen…
Auch für die acht Volunteers aus Kornwestheim und Stuttgart waren die Weltspiele in Berlin ein besonderes Erlebnis. „Vor allem die Eröffnungsfeier war bombastisch. Wir waren völlig geflasht davon, was Berlin dort auf die Beine gestellt hat. Wir hätten vorher nie gedacht, dass sich so viele Leute für Sportlerinnen und Sportler mit geistiger Beeinträchtigung interessieren“, schwärmt Natja Stockhause, die schon seit der Leichtathletik-WM in Stuttgart 1993 regelmäßig ehrenamtlich bei Großveranstaltungen dabei ist.
Bei ihrer Rückkehr wurde die Delegation von 46PLUS dann am Stuttgarter Hauptbahnhof mit Bannern und Sprechchören empfangen. Beim ersten Training in der heimischen Halle kam die Kornwestheimer Oberbürgermeisterin vorbei, um allen Teilnehmern persönlich zu gratulieren und einen Scheck zu überreichen.
Inzwischen ist wieder „Normalität“ in den Alltag der Stars von Berlin eingekehrt. Diese besteht für die Verantwortlichen aus dem täglichen Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit und finanzielle Mittel, um den Sportlerinnen und Sportlern auch weiterhin das bieten zu können, was sie am meisten benötigen: Inklusion und Anerkennung.